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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Gegner wahrnahm, der ihn persönlich bedrohte; als wäre er, Polonius, zehn Jahre alt und der andere ein gerissener, hinterhältiger Mitschüler, der ihm die bessere Note neidete oder die neuen Turnschuhe und auf Rache sann. Hinterher schämte sich Fischer vor sich selbst. Doch immer dauerte es viel zu lange, bis die Bilder verblaßten; bis er seinen Vater nicht mehr sah, der ihm neue Schuhe schenkte, um ihn zu trösten; bis das Zeugnis unlesbar geworden war, für das er sich so angestrengt hatte, weil er seiner Mutter, die ihm vom Himmel aus zuschaute, eine Freude bereiten wollte.
    »Wenn du nicht mit mir sprichst, muß ich dich mitnehmen«, sagte er.
    Das Mädchen schlug die Sandalen, in denen es barfuß war, aneinander und legte beide Hände auf das Stofftier. Nach einiger Zeit sagte es: »Nein.« Fischer richtete sich auf, und sie schaute ihn an. »Hat der Mann, der mit dir am Meer war, gesagt, warum er dich mitgenommen hat?« Die Möglichkeit, daß das Mädchen mit einer Frau unterwegs gewesen war, schloß der Kommissar aus, obwohl er keinen Beweis dafür hatte.
    »Nein«, sagte das Mädchen.
    Wenigstens einen Zentimeter vorwärts, dachte Fischer und sagte: »Hat er dir die rote Sonnenbrille geschenkt?«
    »Hmm.«
    »Die ist schön. Du bekommst sie wieder, wir untersuchen sie nur.«
    »Die Brille ist doch nicht krank!« Katinka bewegte den Elch hin und her und ließ ihn auf ihren Knien hüpfen.
    »Wir müssen wissen, wer der Mann ist«, sagte Fischer. Dann wollte er eine Frage stellen, aber Katinka kam ihm zuvor.
    »Wo bleibt meine Mama so lang?«
    Sie sah ihn unentwegt an. Er streckte den Arm aus, um nach ihrem Stuhl zu greifen. Aber mitten in der Bewegung erstarrte er – Katinka blinzelte und rutschte zum erstenmal auf dem Sitz so weit nach vorn, daß ihre Füße den Boden berührten –, zog den Arm zurück und zupfte am Knoten seiner Krawatte, den er schon vor einer halben Stunde gelockert hatte.
    Möglicherweise hätte er jetzt aufstehen und sich vor sie hinknien oder seinen Stuhl in ihre Richtung stellen oder ihre Hand nehmen müssen. Statt dessen erwiderte er, ohne ihr den Kopf zuzuwenden: »Deine Mama kommt nicht mehr.«
    »Warum nicht?« Sie sah Fischer nicht mehr an, nur noch ihren Freund Toni.
    »Deine Mama ist gestorben.« Er holte Luft, um noch etwas hinzuzufügen.
    »Das glaub ich nicht«, sagte Katinka. »Papa hat versprochen, sie kommt bald wieder.«
    »Dein Papa?«
    »Das hätt ich nicht sagen dürfen, Entschuldigung!« Sie zog den Kopf ein und hielt den Elch vor ihr Gesicht.
    »Was ist mit mir?«
    In der Tür war Heiner Sobeck aufgetaucht. Er trug einen weißen Kittel, Schweiß lief ihm über die Schläfen.
    Fischer erhob sich und glaubte für einen Moment zu schwanken. »Waren Sie mit Ihrer Tochter verreist?«
    Sobeck kniff die Augen zusammen, dann zog er eine Packung Zigaretten aus der Brusttasche.
    »Ist was, Herr Kommissar? Haben Sie Ausfallerscheinungen wegen der Hitze?« Er verschwand in seinem Laden und kam mit der brennenden Zigarette zurück.
    Fischer ging vor dem Mädchen in die Hocke.
    »Du meinst nicht deinen richtigen Papa, sondern den Mann, mit dem du am Meer warst.«
    Wieder druckste das Mädchen herum, bevor es, geduckt hinter dem großen Stofftier, nickte.
    »Du nennst ihn Papa.«
    »Wen?« sagte Sobeck laut. »Wen nennt die Papa außer mir?«
    Ohne das Tier wegzunehmen, sprang Katinka auf die Beine und blieb vor dem Stuhl stehen, stumm, den Kopf ins flauschige Fell gedrückt.
    »Ich hab’s Ihnen gesagt!« Sobeck zog am Filter, blies Rauch durch die Nasenlöcher. »Kind und ich, das paßt nicht. Was machen wir jetzt? Ist ja schön, daß sie wohlauf wieder da ist. Aber ohne Mutter?«
    Katinka fuhr herum und warf den Elch auf den Asphalt.
    »Wieso kommt die Mama nicht? Wo ist sie denn? Hast du sie totgemacht?«
    »Spinnst du?« Sobeck nahm die Zigarette aus dem Mund und klemmte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Eine Sekunde lang dachte Fischer, er würde die Kippe auf seine Tochter schnippen; aber er ließ sie nur fallen und trat die Glut aus.
    »Frag den Kommissar, der kennt sich aus. Ich muß weitermachen!« Sein Blick streifte noch einmal das Mädchen, ratlos und abweisend; kurz darauf blaffte er im Laden einen seiner Mitarbeiter an.
    Katinka kniete sich hin und rieb ihr Kinn an den Ohren des Elchs, hörte nicht damit auf.
    Siebzehn verschiedene Sätze hörte Fischer in sich widerhallen – und er brachte keinen einzigen heraus; er fand einfach nicht den richtigen. Er

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