Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
leichter, kaum merklicher Wind schaukelt die Bürste hin und her. Auch dieses zu nichts führende Schaukeln würde ich gerne in mich aufnehmen. Ich halte es jetzt für meine Würde, dass ich nicht alles verstehe. Nach einer Dreiviertelstunde habe ich das Gefühl, dass die Kleiderbürste in meinem Körperinneren hin und her schaukelt (…)«
Sie erkennen an diesem Tagtraum einen gewissen operativen Charakter. Operativ heißt: Ein äußerliches Detail – eine von einem Balkon herunterhängende Bürste – greift mit seiner Bildlichkeit in das Innenleben des Erzählers ein. Die Metaphorisierung des Details – das Hinundherschaukeln der Bürste wird zu einem Bild der Sehnsucht nach innerer Ausgeglichenheit – ist so abwegig beziehungsweise grotesk, dass wir das Innenleben des Protagonisten nicht ohne ein gewisses Kopfschütteln nachvollziehen können.
Dieses Kopfschütteln – als Reaktion – stellt sich noch stärker ein bei der Rezeption des Romans »Die Liebesblödigkeit«, über den ich ein paar Bemerkungen machen will. Wieder stoßen wir auf einen schräg zur Welt stehenden Protagonisten, einen Typus, den wir aus dem »Regenschirm«-Roman schon kennen. Diesmal lebt der Mann in einer Art Liebesprekariat. Das heißt, der Mann liebt zwei Frauen gleichzeitig, ohne diese Überforderung richtig zu wollen. Er ist allerdings auch nicht entschlussfreudig genug, um seine Situation zu ändern. Er glaubt, sich von einer der beiden Frauen trennen zu müssen; aber welche der beiden Frauen es sein soll, ist das für ihn unlösbare Problem. »Blödigkeit« ist ein historisches Wort, das heute nicht mehr gebraucht wird. Ich kenne das Wort nur, weil es ein Gedicht von Hölderlin mit dem Titel »Blödigkeit« gibt. In den Erläuterungen zu den Gedichten kann man nachlesen, dass Blödigkeit im 18. Jahrhundert ein Wort für »ängstliche Zurückhaltung« war – oder auch, frei übersetzt, für »nervöse Ratlosigkeit« oder »reizbare Überforderung«. Alle drei Formulierungen kennzeichnen den Protagonisten. Wenn man zu dem Begriff »Blödigkeit« sich das Wort Liebe hinzudenkt, so dass das Wort »Liebesblödigkeit« entsteht, befinden wir uns im Zentrum des Romans: Ein Mann versinkt gegenüber der Liebe in eine »ängstliche Zurückhaltung« oder in eine »nervöse Ratlosigkeit«, weil er keine Ahnung hat, wie er auf moralisch halbwegs vertretbare Weise aus seiner Situation wieder herausfinden kann. Auf der Ebene der praktischen Lebenswelt haben wir es mit einer Komödie zu tun. Das Komödiantische ist das Unentscheidbare, und das Unentscheidbare wird ins Zentrum des Subjekts verlegt. Und dort, in der Innenwelt, verwandelt sich das Komödiantische (das Unentscheidbare) in das Lächerliche. Unter allen gefühlsmäßigen Regungen ist die Lächerlichkeit die unzulänglichste, weil sie sich argumentativ nicht klären und nicht beseitigen lässt. Wer sich als lächerliche Person empfindet, weiß nicht, an welchem Moment seiner Erscheinung er korrigierend eingreifen soll, damit die Empfindung der Lächerlichkeit wieder verschwindet. Der Erzähler ist sich keiner schuldhaften Absicht bewusst. Die Lebensumstände, die dazu geführt haben, dass er zwei Frauen gleichzeitig liebt und keine von ihnen opfern will, sind intentionslos zufällig in seine Biografie eingetreten. Der Mann ist weder ein planmäßig operierender Bigamist noch ein routinierter Frauenverführer, noch ein besonders attraktives Exemplar der Gattung Mann. Tatsächlich habe ich auch keinen Roman schreiben wollen, in dem das Problem der Bigamie diskursiv erschöpfend erörtert wird, kein Buch also, in dem die Frage einer Verletzung einer ethischen Norm nach ihren Voraussetzungen und Folgen »untersucht« wird. Der Erzähler ist (und das ist in meinen Augen das Komödiantische daran) in Form einer nicht intendierten Lebenswiderfahrnis auf dieses Problem gestoßen – und muss nun sehen, wie er damit fertig wird. Dass er in hohem Maß ein Amateurproblematiker ist, der seinen Konflikt mit unangemessenen Mitteln angeht, erkennen wir schon an seiner inadäquaten Herangehensweise. Zu Beginn des Romans heißt es dazu:
»Die Liebe zu zwei Frauen ist weder obszön noch gemein, noch besonders triebhaft oder lüstern. Sie ist im Gegenteil völlig normal (und normalisierend), sie ist eine bedeutsame Vertiefung aller Lebensbelange. Ich vergleiche sie oft mit der Elternliebe. Niemand hat je gefordert, dass wir nur die Mutter oder nur den Vater lieben dürfen. Im Gegenteil, alle Welt
Weitere Kostenlose Bücher