Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
schon, womit der schmächtige Franz später zu kämpfen haben könnte. Und ein Blick auf den strammen Wilhelm Ditzen genügt, dann können wir uns ausrechnen, warum sein Sohn, der sich später Hans Fallada nannte, solche Probleme mit sich, dem Vater und dem Leben hatte.
Wir dürfen annehmen, dass der eher scheue und spröde Walter Benjamin seine Porträts nicht inszenieren ließ; dazu sind sie zuwenig theatralisch und zuwenig stilisiert. Ein anderer Autor, Zeitgenosse Benjamins und mit diesem bekannt, dem die publikumschaffende Wirkung von Fotos zu Lebzeiten bestens vertraut war, ist Bertolt Brecht. Er wusste, dass es zwar echte, aber dennoch »falsche« Fotos gibt, das heißt solche, die zweifelsfrei den Autor abbilden, die dem Werk aber dennoch nicht nutzen, weil sie die Leser entweder ganz vom Werk abhalten oder in die Irre führen. Es müssen bestimmte Fotos sein, die eine Stilisierung des abgebildeten Autors einzuleiten in der Lage sind. Die Zutaten zu seiner Stilisierung hat Brecht bühnenmäßig arrangiert. Brecht-Porträts sind voll von wiederkehrenden Zeichen, die leisten, was sie leisten sollen: die Täuschung der Vertrautheit. Wir alle kennen Brechts grobe Leinenhemden, seine Arbeitskittel, die Zigarre, den kurzen, sachlichen Haarschnitt, die Schiebermütze. Die Fotografin Gerda Goedhart, die ihn über Jahre hin porträtierte, hat mitgeteilt, dass Brecht nur wenige Fotografen an sich heranließ. Tatsächlich gibt es Privatfotos von Brecht, das heißt Bilder ohne Stilisierung, die genau das abbilden, was Brecht nicht abgebildet haben wollte: seine Verwechselbarkeit.
Wir alle, die wir Romane, Erzählungen und Gedichte lesen und einige von diesen Texten mehr oder weniger lieben, wir alle wissen, dass der biografische Zugang zu Werken der Literatur unter Kennern als banausisch, ja unfein gilt. Jeder, der einen Roman »verstehen« oder gar »erklären« will, indem er Bezüge zwischen dem Textgeschehen und der Biografie des Verfassers entdeckt oder gar herstellt, hat sich in Kreisen der Zunft als Amateur ausgewiesen. Dabei kennt jeder Leser das Verlangen, sich in der Biografie eines bewunderten Autors auszukennen. Es handelt sich dabei einerseits um ein ästhetisch bearbeitetes Verlangen nach Nähe, andererseits um eine Anerkennung der Paradoxie, dass auch die gescheitertste Dichter-Existenz richtig und notwendig war, weil sie das von uns geliebte Werk hervorgebracht hat. Wer sich als Leser für die Biografie eines Autors zu interessieren beginnt, drückt nur seine Vermutung aus, dass die Existenzweisen der Schreibenden oft noch viel sonderbarer und aufregender sind als die von ihnen hervorgebrachte Literatur. Aber weil die meisten Leser auch als Fachleute gelten wollen, halten sie sich denn auch brav an das Biografie-Tabu. Dabei entspringt jedem Text nicht nur die Frage, was er bedeuten mag, sondern fast noch deutlicher die andere, die biografische Frage: Wer hat ihn geschrieben und warum? Die Unabweisbarkeit dieser Frage ist ein unmittelbares Ergebnis unserer Leseerfahrung. Denn es sind Texte, die uns auf unerklärliche Weise oft näher sind als selbst vertraute Personen. Es sind Texte, nicht Menschen, die so tief in uns eindringen, dass sie unser eigenes Geheimnis anzurühren vermögen. Und zwar folgenlos; wir werden für diese Nähe nicht belangt. Das ist eine merkwürdige, geheimnisvolle und beunruhigende Tatsache, die wir nicht recht einordnen können. Dabei können wir nicht behaupten, dass sich uns der Text auf ungehörige Weise aufdrängt. Wir, die Leser, sind es, die einem Text, indem wir ihn lesen, eine solche Intimität erlauben. Wer einen Text zu lieben beginnt, liebt immer auch etwas von sich selbst, das nur durch diesen Text Repräsentanz und Kommunikation erlangt.
Freilich ist der Hinweis auf den narzisstischen Transfer noch keine Erklärung dafür, wie der Text die Abspiegelung leistet. Der Text selber verrät erst recht nichts von der Technik seines Eindringens. Die Auskünfte der Literaturwissenschaft können uns auch nicht zufriedenstellen, im Gegenteil. Germanisten beargwöhnen uns gern wegen unseres biografischen Interesses, das ihnen trivial erscheint; sie können aber selbst kaum aufklären, warum das offiziell Geächtete so oft das heimlich Geliebte ist. Dies ist der Augenblick, in dem sich das Interesse des Lesers vom Text auf seinen Verfasser verschiebt. Die Verfasser selber, so müssen wir annehmen, verwahren die Schlüssel zu den Geheimnissen, die uns bewegen und beunruhigen.
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