If you stay – Füreinander bestimmt
aufhören können?«
Ich starre auf den Boden, auf meine Füße, auf den gemusterten Teppich.
»Keine Ahnung. Weil ich mich danach gesehnt habe, zu vergessen, schätze ich. Weil es leichter ist, die Realität auszublenden, als sich ihr zu stellen. Meine Realität als Kind war nicht gerade toll. Meine Mutter war tot, und mein Vater hätte es ebenso gut auch sein können, denn er hat sich ausgeklinkt, als meine Mutter starb.«
Dr. Tyler nickt. »Scheint, als seien Sie ein wenig zornig darüber, wie er die Dinge gehandhabt hat.«
Ich muss darüber nicht erst nachdenken. »Und ob ich zornig bin. Er musste ein kleines Kind großziehen, und er hat mich nicht nur mehr oder weniger vernachlässigt und jede wache Stunde im Büro verbracht, sondern mich auch entwurzelt, hat mich quer durchs Land geschleppt an einen Ort, wo ich niemanden kannte. Er hätte keine schlechtere Wahl treffen können. Ich brauchte Normalität. Ich brauchte Menschen, die mich kannten und liebten. Stattdessen stand ich ohne alles da.«
»Also haben Sie zu Drogen gegriffen, um damit fertigzuwerden?«
»Schätze schon«, antworte ich. »Obwohl das wie Drückebergerei klingt.«
Dr. Tyler schaut auf. »Das ist keine Drückebergerei. Jeder hat seine Gründe. Sind das Ihre?«
»Ich glaube schon«, sage ich, und dieses Gefühl, es zugeben zu können, ist überwältigend. Keine Ahnung, warum, aber es hat etwas Befreiendes, es laut auszusprechen. »Ich habe Drogen genommen, um mit der Leere klarzukommen, die ich empfinde.«
Macht mich das am Ende doch zu einem Weichei?
Dr. Tyler wirkt interessiert. »Hat es geholfen? Hat es die Leere gefüllt?«
Ich blicke auf meine Hände herab. »Ja«, sage ich.
»Und als die Wirkung der Drogen nachließ, ist die Leere zurückgekommen?«
»Ja«, antworte ich leise.
»Ist die Leere immer noch da?« Dr. Tyler ist jetzt wirklich interessiert. Seine dunklen Augen blicken mich durchdringend an. Ich schaue weg, zur Wand, zur Uhr.
»Ja«, antworte ich wahrheitsgemäß.
Es ist jetzt still. Das einzige Geräusch stammt von Dr. Tylers Stift, der über das Papier kratzt. Ich verspüre den Drang, hinüberzugreifen, das verdammte Ding zu packen und in zwei Hälften zu zerbrechen. Aber das tue ich natürlich nicht. Das wäre verrückt, und ich habe keinen Grund dazu. Ich habe keine Ahnung, woher meine plötzliche Wut kommt. Ich umfasse mein Knie mit den Fingern und spanne sie an.
»Sie reden nicht gern mit mir, stimmt’s?«, bemerkt Dr. Tyler, ohne den Kopf zu heben.
»Nein, tue ich nicht.«
»Warum sind Sie dann hier?«
Ich überlege, versuche, mir eine halbwegs höfliche Antwort einfallen zu lassen.
»Weil Mila mich darum gebeten hat. Und weil ich diese verfluchten Träume leid bin.«
Dr. Tyler sieht mich mit freundlichen Augen an. »Was genau beunruhigt Sie am meisten an diesen Träumen? Es muss etwas Wichtiges sein, um Sie dazu zu bewegen, mich aufzusuchen.«
Ich klopfe mit der Fußspitze nervös auf den Boden.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, es liegt daran, dass meine Mutter irgendetwas zu wollen scheint und ich nicht in der Lage bin, es ihr zu geben, obwohl es anscheinend wichtig ist. Und weil sie sich in Mila verwandelt und mich das wahnsinnig macht.«
Dr. Tyler lächelt. »Ich würde mir über diesen Aspekt nicht allzu viele Gedanken machen. Viele Menschen stellen in ihren Träumen solche Zusammenhänge zwischen Personen her. Aber das hat keine besondere Bedeutung. Zumeist ist es ein Symbol für etwas völlig anderes. Wenn ich eine Vermutung anstellen sollte – und zu diesem frühen Zeitpunkt ist es wirklich nicht mehr als eine Vermutung –, so würde ich sagen, Ihre Mutter verwandelt sich in Mila, weil da eine tiefsitzende Furcht in Ihnen ist, dass Mila Sie ebenso verlassen könnte, wie Ihre Mutter es getan hat.«
Es durchfährt mich wie ein Schlag. Auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen.
»Meine Mutter hat mich nicht verlassen«, bringe ich mühsam heraus. »Sie ist gestorben. Das ist ein Unterschied.«
»Ja, ist es. Aber für einen siebenjährigen Jungen, den man aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen hat, macht es keinen so großen Unterschied. Und es war zu dieser Zeit, als Sie sieben Jahre alt waren, dass diese Vorstellung geformt wurde. Meine Mutter hat mich verlassen. Und es war völlig normal, darüber wütend zu sein. Es ist genau genommen eine der Phasen der Trauer. Aber da Sie es verdrängt und sich nicht damit auseinandergesetzt haben, haben Sie diese Phasen nie
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