Igor der Schreckliche
Sonnenschirm. Somit steht nachmittäglichen Ausflügen in die Menschenwelt nichts mehr im Weg. Tief unten befindet sich noch ein Bündel verblichenes Papier. Igor blickt Onkel Temerar fragend an.
„Irma die Schöne“, sagt er bloß und Igor weiß, was er meint. Sie verstehen sich mit wenigen Worten. Er fällt Onkel Temerar erneut um den Hals. „Danke! Danke! Danke!“
„Komm! Feiern wir deine Blutsaugerprüfung!“
Kapitel 26
Irma die Schöne
Bepackt mit seinen Geschenken macht sich Igor tags drauf am Nachmittag auf den Weg zu Lara und Bille. Mit einem Grinsen steht er vor dem Draculakopf und sagt das Passwort. Sein Herz klopft wild, als sich das Tor öffnet. Er schließt die Augen und schreitet genussvoll hindurch. Bevor er emporsteigt, legt sich Igor den Umhang um, setzt die Brille auf und hält den Sonnenschirm bereit.
Oben angekommen begrüßen ihn zwei quietschende Mädchen. „Igor, bist du das?“, lacht Lara.
„Du siehst witzig aus“, kichert Bille.
„Macht euch ruhig lustig über mich!“, schmollt Igor. „Das ist der neueste Schrei! Mehr Sonnendichte geht nicht, sagt Onkel Temerar. Jetzt kann ich euch jederzeit besuchen kommen!“
„Yippie!“, freuen sich die Mädchen. „Lass uns vorsichtshalber in die Kirchenruine gehen! Wir möchten nicht, dass dich ein fieser Sonnenstrahl erwischt!“
Igor berichtet von der Blutsaugerprüfung, von Onkel Temerars Worten und Geschenken. Und von den Eltern. Als er nach einem wunderschönen Abend mit Onkel Temerar die Grufttüre öffnete, war es ein Abend wie jeder andere. Keine Fragen. Kein Lob. Kein freundliches Wort. Keine Geschenke. Igor hat damit gerechnet, enttäuscht war er trotzdem. „Mach dir nichts draus! Dein Onkel und wir beide freuen uns für dich!“, sagt Lara.
„Und wir gratulieren dir!“, jubelt Bille. „Wir müssen regelmäßige Treffzeiten ausmachen. Du besitzt kein Handy, oder?“ Igor schüttelt den Kopf. „Weißt du, was das ist?“
Igor nickt. „Onkel Temerar“, sagt er und grinst.
„Und das alles hat dir Onkel Temerar geschenkt? Er mag dich sehr!“, meint Lara.
„Schau mal.“ Igor zieht das Bündel Papier aus dem Umhang und übergibt es Lara.
Sie blättert die Seiten durch. „Das ist eine komische Schrift. Ich kann sie nicht lesen. Was steht da drin?“
„Darin steht, dass Irma die Schöne ein wunderschönes Vampirmädchen gewesen war, das sich in einen Menschenmann verliebt hatte. Er wollte es heiraten. Zur damaligen Zeit war das unvorstellbar und strafbar! Ein Vampirmädchen aus gutem Hause und ein Menschenmann! Ein Skandal! Man hatte alles versucht, um Irma von Begegnungen mit diesem Menschenmann abzuhalten. Vergeblich. Sie sollte einen angesehenen Vampirmann heiraten. Das konnte die Liebe zu dem Menschenmann nicht abstellen. Sie traf ihn nach wie vor. Eine größere Schmach konnte sie dem ehrenwerten Vampir nicht antun und so kam es, wie es kommen musste: Er ließ sie töten und auf dem alten Friedhof der Aussätzigen begraben.“ Igor deutet auf Irmas Grab.
„Meine Irmi ist diese Irma?“ Lara überlegt. „Das bedeutet, Irma muss die Geliebte des Urgroßvaters meines Opas gewesen sein! Wisst ihr, was das heißt?“
Igor runzelt die Stirn.
„Opa hat die Wahrheit gesagt. Er war nicht plemplem oder verrückt!“
Kapitel 27
Eine entsetzliche
Nachricht
So glücklich wie in den letzten beiden Tagen war Igor lange nicht gewesen. Vergnügt geht er nach Hause. Ist das Leben nicht schön? Ist es nicht schön, frei zu sein? Als er die Grufttüre leise hinter sich schließt, hört er die tobende Stimme der Mutter. Sie streitet mit Ivan. Auf Zehenspitzen schleicht Igor zur Salontür und presst sein rechtes Ohr daran.
„Ich habe Euch gewarnt! Igor ist eine Schande für die Familie! Eine Schande, die vorherzusehen war!“, keift Ivan. „Was hattet Ihr erwartet? Dass er sich entwickeln würde wie wir anderen?“
Was meint Ivan damit? Igor drückt das Ohr noch fester an die Tür.
„Ich verbitte mir diesen Tonfall!“, schimpft die Mutter.
Nach einer kurzen Pause sagt sie: „Wir hatten keine andere Wahl. Und das weißt du, Ivan! Was hätten wir an deiner Meinung nach tun sollen? Hätten wir Igor seinem Vater überlassen sollen?“
Was hatte Mutter soeben gesagt? Was hat das zu bedeuten? Igors Herz schlägt wild.
„Ja“, sagt Ivan knapp. „Onkel Temerar hätte ihn nicht mitbringen dürfen! Er hätte das Balg bei seiner toten Menschenmutter lassen sollen!“
„Ivan!“
„Mutter, tut nicht, als ob Ihr
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