Ihr Freund, der Ghoul
wieder dem Mann zu.
Er fiel noch nicht. Seine Hände umkrallten den Griff, er ging gebückt, immer mehr Kraft verlierend, aber der Schreibtisch hielt ihn schließlich auf. Aus großen Augen, in denen Verständnislosigkeit lag, starrte er Eve an.
»Was… was hast du getan?« Er hatte kaum sprechen können, aber diese Frage musste er einfach stellen.
Die Antwort war kalt und grausam, so unmenschlich. »Ich habe dich erstochen!«
Da erst schien er zu begreifen. Auf seinem Gesicht malte sich Erstaunen ab. Kalter Schweiß lag auf der Haut. Die Todesangst hatte sie aus den Poren getrieben, und seine Knie gaben nach. Noch einmal erhob er seine Stimme. »Das hast du nicht umsonst getan, du verfluchte Mörderin. Wer das Schwert benutzt, wird auch durch das Schwert umkommen, das verspreche ich dir…«
Henry Carruthers' Blick wurde glasig. Gleichzeitig rutschte er in sich zusammen und kippte auch zur Seite weg, so dass er mit dem Ellbogen auf die Stuhlfläche stieß. Das Sitzmöbel rollte weiter, er selbst kippte nach links und prallte auf den Boden.
Eve Bennett aber hatte ihr Ziel erreicht! Und ihr Freund würde sich über den Toten freuen…
Das Mädchen stand da und rührte sich nicht. Eve war zu einer Mörderin geworden. Seltsamerweise dachte sie darüber nicht nach. Es war ihr eigentlich egal.
Einen anderen Menschen hätte das erschreckt, sie nicht, denn Henry Carruthers hatte ihrer Ansicht nach nichts anderes verdient. Zu lange war sie von ihm schikaniert worden und hatte sich seine gierigen Blicke gefallen lassen müssen, das war jetzt vorbei.
Und ihr gehörte sogar der Laden! Ja, zu einhundert Prozent. Jetzt, wo er nicht mehr lebte, hatte sie ihn ganz. Da stand es schwarz auf weiß. Zunächst wollte sie nichts tun. Auch in der Nachbarschaft nichts davon berichten. Wenn Fragen gestellt wurden, war Mr. Carruthers eben in Urlaub gefahren.
Etwas anderes war viel wichtiger.
Sie musste die Leiche wegschaffen, und das würde schwierig genug werden. Nicht einmal wegen seines Gewichts, sie wollte den Toten nur unbeobachtet aus dem Laden kriegen.
Vorbereitet hatte sie schon einiges, denn ihr kleiner Renault stand dicht an der Ladentür. Aber der Weg von der Tür hin zum Wagen - einige Schritte nur - würden ihr Schwierigkeiten bereiten. Das Messer zog sie aus der Wunde. Und sie tat dies mit einer routinierten Bewegung, als wäre dies schon ihr zehnter oder zwölfter Mord gewesen. Dann ließ sie die Klinge in der Scheide verschwinden und bückte sich erneut.
Tragen wollte sie den Toten nicht, deshalb griff sie seine Handgelenke, zog die Arme lang und schleifte Henry Carruthers durch das kleine Büro in den Verkaufsraum.
Er war doch ein ziemlicher Brocken, und sie musste sich zunächst einmal ausruhen und auch über ihre weiteren Pläne nachdenken. Dann erinnerte sie sich wieder an den Besuch der Mrs. Doherty und daran, dass sie ihr so viele Decken gezeigt hatte.
Die waren auch geeignet, um den Toten darin einzuwickeln, denn einen Teppich hatte sie leider nicht zur Verfügung. Sie holte die Decken hervor, breitete sie aus, nahm Augenmaß und stellte fest, dass sie doch zwei von ihnen nehmen musste.
Es war eine Schufterei, aber sie tat es gern, denn sie dachte an den Erfolg ihrer Aktion.
Nicht einmal der Kopf schaute schließlich aus der Decke hervor, und Eve ging noch einmal zurück in das Büro. Sie nahm den Vertrag und versteckte ihn in einer Schublade, wo auch andere Dokumente lagen, wie sie herausgefunden hatte.
Im Büro löschte sie das Licht ebenso wie im Laden. Nicht einmal die Notbeleuchtung ließ sie brennen.
Das Geschäft lag nicht unbedingt in einer belebten Straße. Es gab hier zwei Schnellimbisse, ein kleines Programmkino, das meist leer war, ansonsten Wohnhäuser und eben diesen Korbladen gegenüber, wo allerdings noch Licht brannte, aber Kunden oder der Besitzer nicht zu sehen waren.
Von dort aus drohte ihr vorerst nicht die Gefahr einer Entdeckung. Bevor sie einen Blick nach draußen warf, rollte sie den in die Decken eingewickelten Toten schon in Richtung Tür. Das ging besser als das kräftezehrende Schleifen.
Jetzt musste sie Acht geben.
Vorsichtig öffnete sie die Ladentür. Abgeschlossen hatte sie nicht. Eve spürte die Kälte nicht. Sie drückte sich durch den Spalt, hielt aber einen Fuß zwischen Tür und Angel, um sich nicht auszusperren. Nach rechts und links spähte sie. Die Luft war rein. Zwar befanden sich einige Personen auf dem Gehsteig, aber weiter entfernt, wo die
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