Ihr letzter Tanz
lächerlich, so überzureagieren.
Inzwischen war ihr dieses Verhalten längst ein wenig peinlich, zumal sie gesehen worden war. Quinn O’Casey hatte zufälligerweise im Café gegenüber einen Hamburger gegessen und ihren Auftritt beobachten können. Ausgerechnet der Mann, der tausend Fragen stellte und selbst nie eine wirklich zu beantworten schien.
Na und?
versuchte sie sich zu sagen.
Doch der Gedanke allein verunsicherte sie, so wie der Mann selbst auch. Er sah einfach viel zu gut aus. Er war kein Schönling, auch wenn sein Gesicht völlig ebenmäßig gezeichnet war. Quinn O’Casey war einfach nur unglaublich interessant. Zwei linke Füße, viel zu hochgewachsen, Arme wie Stahl. Ein gewöhnlicher Mann war er auf keinen Fall, denn dafür fühlte sie sich viel zu sehr von ihm angezogen, auch wenn er sie gleichzeitig anscheinend grundlos bis aufs Blut reizte.
Sie war sicher, dass er sich nicht bloß zufällig auf der anderen Straßenseite aufgehalten hatte. Oder aber sie wurde langsam verrückt. So hatte sie früher nie empfunden, doch nach Laras Tod schien alles um sie herum eine neue, bösartige Bedeutung anzunehmen.
Du bist die Nächste.
Diese Worte hätten vollkommen harmlos klingen müssen, weil zwangsläufig irgendjemand nach Lara auf die Tanzfläche hätte gehen müssen.
Aber sie glaubte nicht, dass sie harmlos gemeint waren. Das musste eine Paranoia sein, ohne jeden Zweifel: Lara war gestorben, und in ihrem verdrehten Verstand war sie zu der Ansicht gelangt, sie sollte als Nächste sterben.
Sie ermahnte sich im Geist und ging so aufmerksam durch das Studio, wie sie es schon gestern Abend hätte machen sollen. Sie sah in jeden Raum, hob die Unterlagen auf, die sie am Vorabend zu Boden geworfen hatte, ging zur Hintertür und schloss sie auf. Ohne einen besonderen Grund warf sie dann auch noch einen Blick in den Lagerraum.
Dort war alles so, wie es sein sollte. In den Regalen fanden sich Unterlagen, Ersatzglühbirnen, Werkzeug und andere Dinge, die sie nicht jeden Tag benötigten. Langsam ging sie durch den Raum, als sie auf einmal mitten in der Bewegung erstarrte. Plötzlich war sie sich sicher, nicht allein zu sein.
Aber es war nur eine von Katarinas Puppen, die ihr diesen Schreck eingejagt hatte.
„Dummkopf“, sagte sie zu sich, wandte sich ab und begab sich zur Tür. Wie konnte es nur sein, dass diese Puppe ihr solchen Schrecken einjagte. Ihr kam es so vor, als könnte die Puppe mit einem Mal ein Gesicht haben und sich bewegen, wenn sie sich jetzt umdrehte.
Abrupt wirbelte sie herum, doch die Puppe stand einfach nur da. Kein Gesicht, keine Bewegung. Offenbar entstand der Eindruck dadurch, dass man ihr einen ausladenden, mit Federn besetzten Hut von einer Art aufgesetzt hatte, wie man ihn beim Tanzen niemals tragen würde.
Es war nichts weiter als eine Schneiderpuppe, und nichts in diesem Lagerraum war in irgendeiner Weise verdächtig. Sie ging hinaus, schloss hinter sich ab und begab sich wieder nach vorn ins Studio.
Der eigene Verstand konnte einem so manchen Streich spielen. Offenbar ließ sie das, was Lara zugestoßen war, viel zu sehr auf sich wirken. Aber sie konnte einfach nicht anders. Ganz gleich, welcher Meinung sie zeitweilig über Lara gewesen war, sie hatte sie aber doch gut gekannt. Nichts war für sie wichtiger gewesen als das Tanzen. Dass sie hin und wieder mal einen Drink zu sich genommen hatte, war durchaus denkbar. Auch, dass sie mal
eine
Xanax geschluckt hatte, um ihre Nerven zu beruhigen. Doch sie hätte niemals etwas gemacht, das sich auf ihren Auftritt auswirken würde.
Ein plötzliches Geräusch ließ sie herumfahren, vor Schreck presste sie eine Hand vor den Mund. Nur langsam wurde ihr klar, dass bloß die Vordertür geöffnet worden und ins Schloss gefallen war. Jane stand im Eingang und betrachtete Shannon mit besorgter Miene.
„Hey, stimmt was nicht?“
„Doch, doch. Alles in Ordnung.“
„Du machst aber ein Gesicht, als hättest du ein Gespenst gesehen.“
„Nein, tut mir Leid. Ich war nur in Gedanken und du hast mich erschreckt.“
„Entschuldige, aber ich … ich habe doch nur die Tür aufgemacht“, sagte Jane.
„Ich weiß.“
Jane lächelte sie sanft an. „Weißt du, den ganzen Tag über werden Leute diese Tür auf- und auch wieder zumachen.“
„Ja, das weiß ich.“
Sie kam auf Shannon zu und sah sich um. „Sind wir allein?“
„Sam ist noch nicht da.“
„Er wird jeden Augenblick auftauchen. Er kommt nie zu spät zu seinem
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