Ihr letzter Tanz
niederrannten, was andere auf den Gräbern ihrer geliebten Angehörigen gepflanzt hatten.
Lara bekam ein Grab, das nicht weit vom Mausoleum entfernt und von majestätischen Eichen eingerahmt war. Ein großer Grabstein, der von einem Engel umfasst wurde, erinnerte an eine Familie Gonzalez. Eine elegante marmorne Gruft gehörte Antonio Alfredo Machiavelli, der Ende der vierziger Jahre verstorben war.
Vögel zogen über den strahlend blauen Himmel, an dem nicht eine einzige Wolke zu entdecken war. Shannon war froh, dass Gordon die Zeremonie für so früh am Morgen geplant hatte. Obwohl es Herbst war, würde die Sonne schon in wenigen Stunden wieder erbarmungslos auf sie niederbrennen. Ganz in der Nähe summte eine Biene und irgendwo bellte ein Hund. Der Friedhof war größtenteils von Wohngebieten umgeben, in denen Kinder auf dem Rasen spielten und durch die Autofahrer ungeduldig schlichen, weil sie sich an Tempolimits halten mussten. Rings um den Friedhof ging das Leben weiter, doch genau betrachtet ging es auch
auf
dem Friedhof weiter.
Jemand berührte sie am Knie. Sie sah auf und entdeckte Ben Trudeau, der mit finsterer Miene an ihr vorüberging, um eine Rose auf den Sarg zu werfen. Der Gottesdienst war vorüber.
Sie stand auf, ging zum Grab, warf ihre Rose hinein und zog sich zusammen mit Gordon zurück.
„Mr. Henson! Miss Mackay!“
Shannon fühlte sich schon bis aufs Blut gereizt, noch bevor sie sich zu Ryan Hatfield umdrehte, einem besonders verhassten Reporter einer lokalen Tageszeitung. Er war groß und dürr, und er hatte es viel nötiger als sie selbst, endlich einmal unter Leute zu kommen und ein eigenes Leben zu haben. Wenn er von Tanzveranstaltungen berichten sollte, machte er sich regelmäßig über Amateure und Profis gleichermaßen lustig. Einmal hatte er einen besonders gehässigen Kommentar über ein vollschlankes Paar geschrieben, das als Amateure in der Kategorie Walzer gewonnen hatte. Wütend, aber leider auch völlig vergeblich, hatte sie versucht, ihm zu erklären, dass die Teilnehmer nach ihren Schritten und der Qualität ihrer Darbietung beurteilt wurden – und dass Amateure zum Spaß tanzten und dabei auch noch etwas für ihre Gesundheit taten. Für ihn dagegen waren vor allem die Profis affektierte, alberne Snobs, die arrogant auf jeden herabsahen, der etwas Neues versuchen wollte. Als Reaktion darauf hatte sie ihm die verschiedenen Kategorien und auch die Unterkategorien erklärt, doch als er ihre Ausführungen schließlich abdruckte, schaffte er es, sie wie eine überhebliche Hexe klingen zu lassen, die in einer Traumwelt lebte.
„Was wollen Sie?“ fragte sie, bevor Gordon etwas sagen konnte.
„Kommen Sie“, sagte Hatfield. „Nur ein paar Worte.“
„Damit Sie sie mir im Mund umdrehen können?“
„Lara war so etwas wie eine Göttin in der Welt des Gesellschaftstanzes“, redete er unbeirrt weiter. „Wie fühlen Sie sich?“ Sein Tonfall klang so, als würde er tatsächlich mitfühlen.
„Was glauben Sie denn, wie wir uns fühlen?“ fuhr sie ihn an. „Sie ist viel zu jung gestorben. Es war eine Tragödie. Was meinen Sie wohl, was man da fühlt? Schmerz. Es ist ein großer Verlust. Wenn Sie uns dann entschuldigen würden …“
„Wohin werden Sie jetzt gehen? Gehen Sie alle zusammen irgendwohin? Ich habe nichts davon mitbekommen, dass der Geistliche die Trauergäste eingeladen hat“, bohrte Ryan weiter.
„Die Totenwache war für jedermann zugänglich, so wie die Beisetzung auch“, erklärte Gordon. „Nun treffen sich nur diejenigen, die sie näher kannten, um Abschied zu nehmen. Komm, Shannon.“
Gordon legte seinen Arm um ihre Schulter und führte sie zur Limousine, doch Ryan rief ihr nach: „Sehen Sie sich das an. Ben Trudeau steht noch immer an ihrem Grab. Hat sie ihm nicht schon vor Jahren einen Tritt in den Hintern gegeben?“
Shannon wusste nicht, wann sie das letzte Mal eine so tief sitzende Wut verspürt hatte. Sie fürchtete, jeden Augenblick die Selbstbeherrschung zu verlieren und auf den Reporter loszugehen, um alle Sorgen, allen Frust und auch all ihre Ängste an diesem Mann auszulassen.
Doch als sie sich zu ihm umdrehte, war er nicht mehr allein. Die O’Casey-Brüder hatten ihn flankiert und waren im Begriff, ihn in eine andere Richtung zu dirigieren.
„Was zum Teufel soll das?“ beschwerte sich der Reporter. „Lassen Sie mich sofort los, sonst rufe ich die Polizei. Ich werde Sie verklagen und fertig machen! Ich habe die Cops auf Kurzwahl
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