Ihr letzter Tanz
diesem Neuzugang erst am nächsten Tag würde widmen können. Jake leitete die Ermittlungen in diesem Mordfall, und er hatte sich überlegt, den Fundort noch einmal bei Tageslicht zu begutachten. Quinn war mitgekommen, allerdings erst, nachdem er zu seinem Boot zurückgekehrt war. Dort war er eine Weile damit beschäftigt gewesen, sich davon zu überzeugen, dass nichts fehlte. Immerhin hatte Shannon sich zwar die Zeit genommen, sich einen Kaffee zu kochen, war dann jedoch in solcher Eile aufgebrochen, dass sie vergessen hatte, die Tür zur Kajüte richtig zuzuziehen. Unterdessen war es Ashley gelungen, mit einer früheren Maschine nach Hause zu fliegen. Jake hatte sie vom Flughafen abgeholt, und nach diesem kurzen Abstecher an den Fundort würden sie sich auf den Weg ins Leichenschauhaus machen. Dort sollte Ashley eine Skizze vom Gesicht der Toten anfertigen, in der Hoffnung, dass sie jemand wiedererkannte.
Ein Foto wollte die Polizei nicht veröffentlichen, da ihnen ein Bild lieber war, auf dem die Frau so aussah, als würde sie noch leben.
Ashley war für Jake Dilessio ein einmaliger Glückstreffer – eine Frau, die im Leben zwei Dinge liebte: die Kunst und die Polizeiarbeit. Sie war unermüdlich. Obwohl sie innerhalb des nächsten Monats ihr erstes Kind zur Welt bringen würde, ließ sie sich nicht vom Arbeiten abhalten. Wenn das Kind erst einmal da war, würden sie beide einen Gang zurückschalten. Aber bis dahin reagierte Ashley auf den Vorschlag, kürzer zu treten, mit einem Achselzucken und der Erwiderung, sie könne ansonsten kaum mehr tun, als herumzusitzen. Auf dem Weg zum Leichenschauhaus fragte Quinn, ob es ihr nie auf den Magen schlug, wenn sie mit Leichen als Modellen ihre Skizzen anfertigte.
„Bei jedem, der nicht auf natürliche Weise gestorben ist, muss man daran denken, wie schrecklich dieser Tod war“, sagte sie zu Quinn und beugte sich zu ihm vor. „Aber ich hatte eine tolle Schwangerschaft. Ich fühle mich bestens, mir ist morgens nicht ein einziges Mal schlecht gewesen. Und meine Arbeit ist mir wichtig. Jake und ich, wir sorgen dafür, dass die Welt, in der unser Kind aufwachsen soll, etwas besser wird.“ Sie sah zu Jake, der am Steuer saß, und lächelte ihn an. „Wir können nicht alles korrigieren, was im Universum falsch läuft, aber wir tragen mit vielen kleinen Dingen unseren Teil dazu bei, stimmt’s?“
„Ashley, dich sollte man klonen“, erwiderte Quinn, was sie mit einem fröhlichen Lächeln quittierte. So schön und zierlich Ashley auch war, konnte sie zugleich knallhart sein.
„Danke.“ Sie schwieg einen Moment, dann fügte sie an: „Auch wenn die Umstände nicht die besten sind … wir sind auf jeden Fall froh, dass du wieder hier bist.“ Sie klang ein wenig verlegen, da sie nicht der Typ war, der seine Nase in die Angelegenheit anderer Leute steckte. „Wenn Nell Durken sich nicht an dich gewandt hätte, und du nicht so lückenlose Aufzeichnungen geführt hättest, als du ihrem Mann gefolgt bist, dann wäre er vermutlich ungestraft davongekommen.“
„Er ist aber noch nicht verurteilt“, erinnerte Quinn sie und wurde ernst. Jetzt, da er über den Fall Durken nachdachte, bekam er ein ungutes Gefühl im Magen.
Am Leichenschauhaus angekommen, zeigten Jake und Ashley ihre Dienstmarken und ein Mitarbeiter führte sie beide und Quinn in einen Raum. Augenblicke später wurde die Tote vom Strand auf einer Bahre hereingefahren.
Wenn sich Duartes erste Schätzung als zutreffend erweisen sollte, war sie noch keine vierundzwanzig Stunden tot. Erstaunlich, was die See und das Leben in so kurzer Zeit anrichten konnten – zum Glück aber reichte das nicht, um bestimmte Fakten unwiederbringlich zu zerstören.
Die Frau war jung, hübsch und dem Anschein nach reich gewesen. Die Fingernägel deuteten auf eine aufwändige Maniküre hin, und was von ihrem Make-up verblieben war, ließ erkennen, dass es fachmännisch aufgelegt worden war und lange auf der Haut hatte bleiben sollen. Sie hatte volles, dunkles und gepflegtes Haar. Hohe Wangenknochen verliehen ihr auch noch im Tod eine elegante Ausstrahlung, und als ihr Mund geöffnet wurde, konnte man ein perfektes Gebiss sehen. Alles an ihr deutete darauf hin, dass ihr im Leben stets alle Türen offen gestanden hatten.
Ashley war bereits mit den ersten Skizzen beschäftigt.
Ein Assistent versorgte sie mit Einweghandschuhen, doch ihre oberflächliche Begutachtung ergab nichts nennenswert Neues.
„Sie hat Drogen genommen“,
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