Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
Took.
Innen war das Haus mit zu viel Geld und zu wenig Geschmack eingerichtet worden. Etliche karierte Sofas, ein Dutzend kitschige Jagdszenen; ein Couchtisch aus Messing und Glas ächzte unter dem Gewicht eines Bronzepferdes, das so groß war, dass man fast darauf reiten konnte.
John Took war ein massiger Mann mit einem geröteten Gesicht, wie man es vom Trinken oder von Wind und Wetter bekommt. Reynolds fragte sich im Stillen, welches von beiden wohl der Grund war. Möglicherweise beides. Es waren noch zwei Frauen im Haus – Jess’ Mutter Barbara und Tooks Freundin Rachel Pollack, die mit ihren großen blauen Augen und dem langen blonden Haar lediglich eine jüngere, schlankere Version von Barbara war.
Schlanker und dümmer, stellte Reynolds nach nur ein paar Minuten Unterhaltung mit den beiden fest. Genau das Richtige für einen Mann in der Midlife-Crisis. Reynolds war nie verheiratet gewesen, doch er war sich ziemlich sicher, dass er das besser hinkriegen würde als die meisten anderen Männer. Er hatte mal einen Aufkleber gesehen, auf dem stand: EINE EHEFRAU HAT MAN FÜRS GANZE LEBEN, NICHT NUR FÜR DIE FLITTERWOCHEN . Nur allzu wahr.
Die Dynamik innerhalb dieses Dreigespanns war hochinteressant. Obgleich Rachel die ganze Zeit Johns Hand umklammert hielt und damit an Aufsicht grenzendes Mitgefühl demonstrierte, war deutlich zu sehen, dass die wahre Verbindung hier – die familiäre Verbindung – zwischen John und seiner Exfrau bestand. Sie teilten dieselbe zittrige Anspannung miteinander, dieselbe brüchige Hoffnung, dieselbe Gleichgültigkeit allem gegenüber, das nichts mit Jess zu tun hatte. Mehr als einmal sah Reynolds, wie Rachel beleidigt den Mund zusammenkniff, während sie den beiden zusah.
Es hatte sich niemand bei ihnen gemeldet, der behauptet hätte, Jess in seiner Gewalt zu haben.
»Wenn es so wäre, würden wir uns besser fühlen«, sagte Barbara Took, und Reynolds ging es genauso. Wissen war immer besser als Nichtwissen. Und sie hätten etwas, wo sie anfangen könnten.
»Hat Jess einen Freund?«, erkundigte er sich, und beide Eltern schüttelten entschieden die Köpfe.
»Sie ist doch erst dreizehn«, verwahrte sich Took.
»Das wüsste ich«, behauptete Barbara.
Reynolds machte in seinem Notizbuch ein Fragezeichen hinter das Wort »Freund«.
Er bat, Jess’ Zimmer sehen zu dürfen – das beste im ganzen Haus und unordentlich, wie nur Teenager es hinbekommen. Der Anblick ging Reynolds durch und durch, und er war froh, dass er keine Kinder hatte.
»Mr Rabbit!«, stieß Barbara Took unter Tränen hervor und hob ein altes Stofftier vom Boden auf. »Sie würde Mr Rabbit niemals zurücklassen.«
Das war natürlich totaler Blödsinn. Sogar Reynolds wusste das. Teenager waren ein selbstsüchtiger Haufen, und es war unwahrscheinlich, dass ein Spielzeug aus ihrer Kindheit sie zurückhielt, wenn irgendwo ein Freund auf sie wartete.
Barbaras Exmann drehte sich um, um sie tröstend in die Arme zu nehmen, und Rachel streckte die Hand aus und streichelte der anderen unbeholfen die Schulter, mit Fingern, die in leuchtend roten Krallen endeten.
»Wo ist ihr Handy?«, fragte Reynolds.
»Ich hab’s neben dem Pferdetransporter gefunden«, antwortete Took. »Es muss ihr runtergefallen sein. Ihre Leute haben es jetzt.«
»Was ist mit ihrem Make-up?«, erkundigte sich Elizabeth Rice.
»Sie trägt keins«, erwiderte Barbara und sah dann John Took fragend an. »Jedenfalls nicht bei mir.«
»Bei mir auch nicht«, beteuerte Took sofort und ließ sie los.
Auf dem Nachttisch stand ein kleiner Spiegel, doch in der Schublade darunter war nur Krimskrams – ein bisschen Modeschmuck, Schlüsselringe mit Zeichentrickfiguren daran, Kleingeld, Cremes, ein kaputtes Handy und ungefähr fünfzig verschiedene Haarspangen.
Rice bemerkte einen Rucksack am Fußende des Bettes. »Ist das ihre Schultasche?«
»Ja. John bringt sie montags hin, und ich hole sie ab.«
Rice kramte in dem Rucksack und förderte rasch ein kleines rosafarbenes Make-up-Täschchen zutage, das Erdbeer-Lipgloss, Wimperntusche und zwei Fünf-Pfund-Noten enthielt. Barbara Took funkelte ihren Exmann zornig an, doch Reynolds und Rice wechselten einen Blick ganz anderer Art. Wenn Jess Took durchgebrannt wäre, wären Make-up und Geld tausendmal wichtiger gewesen als Mr Rabbit.
Hintereinander gingen sie wieder nach unten, und Reynolds erklärte ihnen das weitere Prozedere. Wie das Ganze ablaufen würde, wie die Suche organisiert werden würde,
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