Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
Toilette gestürmt, um die Suche nach Jess Took zu leiten.
Ihr liebt sie nicht.
Reynolds hatte den Zettel bei sich, sicher in einer Beweismitteltüte verwahrt. Er hatte befohlen, dass nichts davon an die Öffentlichkeit dringen sollte. Wenn Jess Took entführt worden war, dann war der Zettel ein Detail, das nützlich sein könnte, um ihren Kidnapper bei einer Lüge zu überführen. Oder er könnte dazu dienen, die Spinner auszuschließen, die das Verbrechen vielleicht als ihr Werk ausgeben wollten.
Er hatte ihn hundertmal betrachtet, als sie von Taunton aufs Exmoor gefahren waren. Jess Took wurde erst seit sechsunddreißig Stunden vermisst, und der Handschriftenexperte hatte sich nicht festlegen wollen, bevor nicht weitere Nachforschungen angestellt worden waren. Doch er hatte gesagt, in Anbetracht der sorgfältigen Buchstabenführung stamme er wahrscheinlich nicht von jemandem, der jeden Tag schrieb. Sehr hilfreich. Das grenzte das Feld wirklich ungeheuer ein. Wer zum Teufel schrieb denn schon jeden Tag – oder überhaupt noch – mit Papier und Stift? Reynolds selbst konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal einen Kugelschreiber mit einer anderen Absicht in die Hand genommen hatte, als damit ein paar Notizen hinzukritzeln oder beim Nachdenken darauf herumzuklicken. Heutzutage lief doch alles per Tastatur. Worte wurden erschaffen und verschwanden in einem Kasten, und dann schaltete man ihn ab und wieder an und hoffte, dass sie noch da waren. Reynolds war sehr für das papierlose Büro, doch aus irgendeinem Grund schien in der Abteilung für Schwerverbrechen der Polizei von Taunton jede Woche mehr Papier im Umlauf zu sein. Ein Enigma, dachte er, eingehüllt in endlos viele DIN-A4-Blätter.
Er lächelte innerlich und wünschte sich, er hätte so etwas Cleveres laut sagen können, vor einem Publikum, das dergleichen zu schätzen wusste. Detective Sergeant Elizabeth Rice war bei Weitem nicht dumm, doch sie war nicht so belesen wie er.
Allerdings war Rice eine umsichtige Autofahrerin, und er gab ihr jedes Mal die Schlüssel. Dann konnte er nachdenken, ohne von dem »Rückspiegel, blinken, abbiegen«- Mantra heimgesucht zu werden, das sein Vater ihm so nachhaltig in den Schädel gehämmert hatte, dass es nie wieder hinausgefunden hatte.
Die Straßen begannen, sich in Kurven zu winden, sobald sie von der Autobahn abgefahren waren. Es gab keinen Übergang: Eben waren sie noch im 21. Jahrhundert, und dann kam man sich vor wie in den Fünfzigern. Dornenbüsche und Hecken quetschten schmale Straßen zwischen sich wie schwarze Zahnpasta, die sich übers Exmoor schlängelte, und Reynolds wusste genau, dass in seiner Tasche sein Handy bereits wild nach einem Netz suchte.
»Fühlt sich komisch an, wieder hier zu sein.«
Rice hätte seine Gefühle nicht akkurater beschreiben können.
Reynolds war nicht mehr hier gewesen, seit ein Killer eine brutale Schneise durch das Moor geschlagen hatte. Nicht mehr, seit er Jonas Holly vor etwas über einem Jahr vom Krankenhaus nach Hause gefahren und ihm geschworen hatte, dass sie den Mann fassen würden, der seine Frau ermordet hatte.
Das war nicht geschehen.
Doch er hatte Jonas dreimal angerufen – und dabei jedes Mal mehr den Verdacht gehabt, dass der Mann bei manchen Anrufern einfach nicht abnahm. Eigentlich war Reynolds das ganz recht gewesen; er hatte nie irgendwelche guten Nachrichten für ihn gehabt. Aus den wenigen dürftigen forensischen Spuren hatte sich nichts ergeben, und obgleich der Fall noch nicht offiziell als ungelöst zu den Akten gelegt worden war, wusste Reynolds doch genau, dass ein Riesenglücksfall oder ein weiterer Mord nötig wären, damit er wieder ganz oben auf der Liste des Morddezernats landete.
Ihm fiel wieder ein, dass sogar noch diesen Januar – ein Jahr nach ihrem Tod – auf Jonas’ Anrufbeantworter die Stimme seiner Frau zu hören gewesen war: »Hi, Sie haben die Nummer von Jonas und Lucy gewählt. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, und wir rufen Sie zurück. Oder Sie können Jonas unter seiner Handynummer erreichen …«
Die Stimme eines Geistes.
Reynolds fand das gruselig.
»Stimmt«, pflichtete er Rice bei. »Sehr komisch.«
Außerdem fühlte es sich merkwürdig an, in einem schmuddeligen weißen Lieferwagen zu sitzen und nicht in einem Zivilfahrzeug der Polizei. Der Lieferwagen war ein Firmenwagen des Bauunternehmens RJ Holding & Sons aus Taunton. Roger Holding war ein Cousin des diensthabenden Sergeants und hatte
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