Ihr schafft mich
es keine Einigkeit darüber, was Ethik überhaupt ist. Einigkeit gibt es nur über eines: Bei der Ethik geht es darum, mit dem Verstand zu arbeiten. Ãber die Frage »Was soll ich tun?« wird nachgedacht â nicht einfach nach dem Bauchgefühl entschieden.
Anders sieht es bei der Moral aus. Die klingt in den Ohren vieler Menschen ganz ähnlich wie die Ethik. Zwischen den beiden gibt es aber einen beträchtlichen Unterschied. Bei der Moral geht es in aller Regel nicht um die Frage »Was soll ich tun?«, sondern um die Frage, »Was schreibt mir die Moral vor, dass ich tun soll?« Unterschied bemerkt? Bei der Moral geht es also um ein Gesetz, das sozusagen über den Menschen steht, über ihnen schwebt. Ein Gesetz, das nicht sonderlich viel mit Vernunft zu tun haben muss. Mitunter ein Gesetz, von dem es heiÃt, es sei von Gott gegeben.
Wenn jemand gegen ein solches (gottgegebenes) moralisches Gesetz verstöÃt, gibt es dafür einen eigenen Begriff: Sünde . Mit der Sünde ist es genauso wie mit der Moral â vernünftig über sie zu diskutieren, ist ausgesprochen schwierig. Denn die Regeln, gegen die jemand verstöÃt, wenn er sündigt, haben ja gerade nichts mit Vernunft zu tun. Sie sollen auch gar nichts mit Vernunft zu tun haben. Sondern mit göttlichem Willen.
Sünde und Moral klingen daher in den Ohren von Leuten, die aufs Denken Wert legen, nicht genauso gut wie Ethik. Jemand, der moralisiert , hat keine Sympathien auf seiner Seite. Und auch nicht derjenige, der moralinsauer daherkommt. Dass jemand hingegen ethisiert , hat man noch nicht gehört. Daraus lässt sich schlieÃen: Vorsicht mit der Moral. Denn sie kann oftmals nicht hinterfragt werden, sondern wird einfach als gültiges Gesetz in den Raum gestellt. Das hat sie allerdings mit vielen Gesetzen gemeinsam, von denen Menschen schon seit Ewigkeiten glauben, dass sie sich an sie halten müssen.
Kapitel Acht
Besser. Schöner. Reicher.
Wie die oberste Norm unserer Zeit uns unerbittlich in den Griff nimmt.
Manchmal ist ja ein Blick in die Zehn Gebote des Christentums ganz interessant. Auch wenn man nicht sonderlich christlich ist, könnte man schlieÃlich meinen, dass sich dort Regeln finden, die Menschen schon seit langer Zeit für wichtig halten. Regeln für die Ewigkeit sozusagen. Und in der Tat, Vorschriften wie »Du sollst nicht töten« (in manchen Ãbersetzungen auch »Du sollst nicht morden«) oder »Du sollst nicht stehlen« sind durchaus modern, obwohl sie schon viele Tausend Jahre alt sind. Was sich in den Zehn Geboten aber gar nicht findet, ist das oberste Gebot der modernen Welt. Die eine Regel, die über allen andern Regeln steht. Das Gebot: »Du sollst gut abschneiden im Wettbewerb.« Das ist das oberste Gesetz der modernen Industriegesellschaften. Oder nicht? Schauen wir doch mal nach, ob diese Behauptung stimmt.
Egal ob ein Junge oder Mädchen in Deutschland, Russland oder in den USA geboren wird â von Anfang an heiÃt es an allen Ecken und Enden: Wichtig, mein liebes Kind, ist es, hübscher zu sein als die andern. Besser zu sein in der Schule. Aufs Gymnasium zu gehen und nicht auf die Hauptschule. Später 5000 Euro im Monat zu verdienen und nicht 2000. Oder vielleicht sogar 20 000, wenn es geht. WeiÃere, geradere Zähne zu haben als der Nachbar oder die Nachbarin. Ein schöneres Gesicht.
Kinder und Jugendliche wie auch Erwachsene leben jeden Tag vom Aufwachen bis zum Einschlafen in einer Wettbewerbsgesellschaft . Oft verfolgt sie der Wettbewerb bis in ihre Träume. Welches Schulkind hat nie wegen einer Prüfung, die am nächsten Tag bevorsteht, schlecht geschlafen? Und warum schläft dieses Kind schlecht? Aus Vorfreude? Oder aus Angst, im Wettbewerb um eine gute Note schlecht abzuschneiden?
Das Dumme dabei ist: Dieser Wettbewerb läuft oft nach den Regeln eines Nullsummenspiels . So heiÃt es in der sogenannten »Spieltheorie«, wenn jemand nur dann als Gewinner gilt, wenn gleichzeitig ein anderer Verlierer ist. Dem »plus eins« des einen steht das »minus eins« des anderen gegenüber. In der Summe: null. In den allermeisten Fällen, in denen es um Wettbewerb geht, sieht es leider genau so aus. Wer nicht gewinnt, bleibt nicht einfach als »Nicht-Gewinner« zurück. Er ist vielmehr ein Verlierer. Ein Loser.
Ran an die Chinesen!
Deutschland, USA , Frankreich oder auch die
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