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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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Entwicklungsebene die postkonventionelle Stufe . Wer von Wissenschaftlern in diese Kategorie eingeteilt wird, sucht beim Befolgen von Regeln stets nach Begründungen für diese Regeln. Beispielsweise indem er sich die Frage stellt: »Was würde passieren, wenn sich alle so verhielten, wie ich es gerade tun will?«
    Wenn man möchte, kann man mit dieser Frage bei jeder einzelnen Handlung Stunden über Stunden verbringen. Das muss man aber nicht unbedingt. Denn das machen ja seit vielen Jahrhunderten schon andere Leute, Philosophen zum Beispiel. Einer der ehrfurchtgebietendsten von ihnen, Immanuel Kant, hat die Sache andersherum formuliert. Er hat einen Befehl ausgegeben, den seiner Ansicht nach alle klugen Menschen befolgen sollten. Zumindest klingt die Überschrift seines ultimativen Ratschlags nach Befehl. In seinem Kategorischen Imperativ formuliert Kant das »Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft«. Es lautet: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«
    Von Kant zur Sonnenblume
    Ãœber diesen Satz kann man lange nachdenken. Man kann aber auch versuchen, ihn auf den Boden der Tatsachen zu holen. Auf den Boden eines Blumenfelds zum Beispiel. Wer die größeren Städte Deutschlands ab und zu verlässt, wird irgendwann auf Felder stoßen, auf denen man zwischen Frühling und Herbst Nelken, Lilien oder auch Sonnenblumen selbst abschneiden und mitnehmen kann. Die Leute, die solche Selbstpflück-Felder anlegen, stellen üblicherweise eine Geldsammel-Box auf. An die schreiben sie, dass jeder, der Blumen mitnimmt, dafür bitte eine bestimmte Summe bezahlen soll.
    Wer auf der ( präkonventionellen ) Stufe eines Kindes ist und den geforderten Betrag in die Geldsammel-Box wirft, der tut das, weil er Angst hat. Angst, dass ihn jemand beim Blumenschneiden beobachtet. Angst, dass ihm jemand – falls er ohne zu zahlen weggehen will – auf die Schulter tippt und fragt: »Was machen Sie da eigentlich?« Oder aber er zahlt nichts oder nur ein paar Cent, weil er ziemlich sicher ist, dass ihn niemand beobachtet, er also nicht erwischt wird.
    Wer auf der konventionellen Stufe steht, dem sagt seine innere Stimme: »Die Blumen mitzunehmen, ohne zu zahlen, wäre Klauen. Und Klauen gehört sich nicht.« Deshalb wirft er Geld in die Box.
    Wer schließlich die postkonventionelle Stufe erklommen hat, würde etwas für die Blumen zahlen, weil er an den Kategorischen Imperativ denkt und sich sagt: »Wenn jeder zugreift, wie es ihm gefällt, dann gibt es irgendwann keine Blumen mehr, die man sich selbst günstig abschneiden kann. Denn dann lohnt es sich für den Besitzer des Feldes nicht mehr, dieses schöne Angebot zu machen. Daher sollten alle die Blumen bezahlen. Also auch ich.«
    Ziemlich konventionell – Kleine Wortkunde zur Konvention
    Wenn früher die alten Römer zusammenkamen, um sich über etwas zu verständigen, dann hieß das convenire (von venire »kommen« und der Vorsilbe con- »zusammen«). Was dabei herauskam, war die conventio . Das Wort hat die Römer in vielen Sprachen überlebt. Wenn es in einer Gruppe von Menschen eine Übereinkunft gibt, dass man etwas so machen sollte und nicht anders, dann ist von einer Konvention die Rede. Aber auch Rechtsabkommen können so heißen, beispielsweise die Genfer Konvention . In ihr sind Regeln festgelegt, was in Kriegen erlaubt ist und was nicht. Was sich nach Konventionen richtet, ist also konventionell. Ein Wort, das nicht immer einen guten Beiklang hat. Wenn der Chef über den Lösungsvorschlag eines Mitarbeiters sagt, »das ist aber ziemlich konventionell«, dann ist das nicht als Lob gemeint.
    Warum an Regeln halten?
    Es geht also immer wieder um die Fragen: »Soll ich mich an Regeln halten? Und wenn ja, warum?« Auf diese Fragen Antworten zu geben, ist nicht immer einfach. Nicht nur Kindern fällt es schwer, sich nach Immanuel Kants Kategorischem Imperativ zu richten. Auch Erwachsene haben oft Probleme damit. Nehmen wir beispielsweise die Frage »Soll ich das Finanzamt bescheißen, wenn ich sicher sein kann, dass mich niemand erwischt?« Eine Antwort könnte lauten: »Aber sicher, dann bleibt dir mehr Geld für dich!«
    Die postkonventionelle Antwort hingegen könnte lauten: Wenn das alle machen, nimmt der Staat wesentlich weniger Steuern ein. Mit der

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