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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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Folge, dass der Staat vielleicht weniger Straßen baut, dass er Lehrer und Polizisten rausschmeißt, dass er das Kindergeld kürzt und so weiter. Dann allerdings beschweren sich die Steuer-Bescheißer über schlechte Straßen, über zu große Schulklassen für ihre Kinder und darüber, dass kein Polizist in der Nähe ist, wenn ihnen ein Taschendieb den Geldbeutel klaut. Oder darüber, dass sie für ihre Brut weniger Kindergeld bekommen.
    Das Problem dabei ist: Wenn der Steuer-Bescheißer 500 Euro sparen kann, dann hat er die nun mal sofort und sicher. Und er kann sich dafür eine nette Woche auf Mallorca leisten. Wenn der Steuer-Bescheißer die 500 Euro dem Staat lässt, weiß er nicht, ob er selbst etwas von diesem Geld hat. Er weiß nicht, ob er irgendwann auf einer Straße fährt, die damit repariert wurde. Ob damit ein Teil des Gehalts eines zusätzlichen Lehrers für die zu große Schulklasse seiner Kinder bezahlt wird. Ob er jemals einen Polizisten braucht, der ihm in irgendeiner Situation zur Seite steht. Es könnte sogar sein, dass er sich über Polizisten öfter ärgert, als er sie herbeisehnt. Dass es ihm also lieber ist, wenn es weniger Polizisten gibt. Sicher ist nur: Nach Mallorca fahren kann er nicht, wenn er das Geld dem Staat lässt.
    Tut es jemandem weh, wenn Jenny mit Antonio knutscht?
    Endgültig vertrackt wird es, wenn es nicht um einen Schaden am Körper oder um das Eigentum anderer Menschen geht, sondern um deren Gefühle. Beispiel Treue: In den allermeisten Kulturen gilt es als ausgemachte Sache, dass jemand, der mit jemand anderem ein Paar bildet, sich nicht mit anderen Frauen bzw. Männern einlassen sollte. Dieses Treue-Gebot (oder Fremdgeh-Verbot) kann aber ganz unterschiedliche Formen annehmen. In islamischen Ländern, die das drastische Regelwerk der Scharia anwenden, kann es passieren, dass Ehebrecher zum Tode verurteilt werden. Wenn man Angst haben muss, durch Steinigung getötet zu werden, fällt es nicht schwer, der Versuchung zum Fremdgehen zu widerstehen. Da braucht man nicht groß danach zu streben, die »postkonventionelle Stufe« beim Regeln-Beachten zu erklimmen. Da bleibt man aus Angst um sein Leben treu.
    Auch in Deutschland war Ehebruch bis 1969 strafrechtlich verboten, wenn auch nie so drastische Strafandrohungen wie die Todesstrafe mit diesem Verbot verbunden waren. Seit 1969 aber machen sich Eheleute durch einen Seitensprung nicht mehr strafbar. Und was Paare, die nicht verheiratet sind, außerhalb ihrer Beziehung unternehmen, interessiert die deutschen Gesetze schon gar nicht. Wenn die 16-jährige Jenny nicht mit ihrem Freund rumknutscht, sondern mit einem Urlaubsflirt, dann will davon sicherlich kein Richter irgendwas wissen.

    So müssen in Ländern wie Deutschland Männer und Frauen, die als Ehepaar oder Liebespaar miteinander verbunden sind, immer wieder für sich selbst die Frage beantworten: Ist es schlimm, wenn ich untreu bin? Wenn nein, warum nicht? Was ist wichtiger: die möglicherweise verletzten Gefühle meines Partners oder mein eigenes Bedürfnis, mich auszuleben? Und alle müssen sich die Frage stellen: Was ist denn Untreue? Ein Kuss? Viele Küsse? Oder geht die Untreue erst los, wenn es mehr wird? Oder ist es schon untreu, sich vorzustellen, wie es mit jemand anderem wäre?
    Wenn man mit Regeln und Normen konfrontiert wird, ist es also nicht immer leicht, sich sowohl vernünftig als auch autonom zu verhalten. Was erklärt, dass auch viele Erwachsene beim Umgang mit Regeln und Normen wieder zu Dreijährigen werden und nach dem Motto handeln: »Wenn ich keine Angst haben muss, erwischt zu werden, mache ich, was mir gerade einfällt. Und wenn ich erwischt werde, fange ich erst mal an zu heulen.«
    Von Kant zum Grundschul-Stundenplan
    Es geht also immer um eine Frage: Was soll ich tun? Diese Frage ist einfach zu stellen. Antworten zu geben, ist oft – bringen wir es auf den Punkt – sauschwer. Wenn etwas schwer ist, hilft manchmal, sich erst einmal einen Fachbegriff dafür einfallen zu lassen. Die Frage »Was soll ich tun?« haben schon die alten Griechen unter einen Fachbegriff gestellt: Ethik . Und da steht er heute noch.
    Ethik also. Klingt irgendwie gut, nicht wahr? Selbst Grundschulkinder bekommen das Wort mitunter in den Stundenplan geschrieben. Was aber an einer Sache nichts ändert: Unter den klugen Köpfen dieser Welt gibt

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