Ihr schafft mich
Oder den Leuten, die neben den Fabrikhallen dieses Unternehmers leben.
Die Antwort auf die Frage, warum es so viele Gesetze gibt, lautet also: Eine Gesellschaft, die viele Lebenswege erlaubt, wird immer dicke Gesetzesbücher haben. Vor allem dann, wenn es zu dieser Gesellschaft gehört, dass alle Bürger das gleiche Recht haben, über ihr Leben zu bestimmen. Denn dann reden plötzlich Millionen mit beim Regeln-Geben. Und die Regeln sollen allen diesen Millionen gerecht werden. Einfach kann das nicht sein. Wobei aber eine Frage bleibt. Wann hat es eigentlich angefangen mit der Gesetzemacherei?
Kapitel Elf
Leg mal die Keule weg â lass uns einen Vertrag machen.
Woher Staaten kommen. Was sie mit Verträgen zu tun haben. Und was das Ganze mit Herrschaft zu tun hat.
Genau 317 brennende Autos zählte die französische Polizei in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 2009. Es war aber nicht die einzige Nacht des Auto-Abfackelns. Im Herbst des Jahres 2005 waren in ganz Frankreich rund 10 000 Autos in Flammen aufgegangen, dazu etwa 300 Geschäfte. Nicht viel anders sah es in GroÃbritannien im Sommer 2011 aus. Und in Berlin gehört zum Jahreslauf nicht nur die Sylvesterparty am Brandenburger Tor, sondern auch die Randale am 1. Mai. Ebenfalls mit brennenden Autos und eingeworfenen Schaufensterscheiben.
Immer wieder scheint es, als ob mitten im vermeintlich friedlichen zivilisierten Westeuropa keine Regeln mehr gelten. Vor allem Jugendliche werfen Steine und Brandsätze auf Polizisten, als hätten sie Gegner aus einem Computerspiel vor sich. Scheiben werden zertrümmert und Läden geplündert, als ginge es um Topfschlagen oder Piñata-Hauen beim Kindergeburtstag.
Im Fernsehen und in den Zeitungen geben dann Soziologen mit besorgtem Gesichtsausdruck Interviews und sprechen von Anomie . So heiÃt es auf gut Experten-Griechisch, wenn keine Regel (nómos) mehr gilt. Genauer wäre es freilich zu sagen: Die Randalierer und Plünderer halten sich eine Zeit lang nicht mehr an die Gesetze der Länder, in denen sie leben. Vor allem nicht an die Gesetze, die Eigentum schützen und vor Gewalt bewahren sollen. Aber wer selbst kaum Eigentum besitzt und sich stark genug fühlt, um seinen eigenen Körper ganz allein gegen Gewalt zu verteidigen, der kümmert sich offenbar nicht immer um solche Gesetze. Denn er fühlt sich gar nicht von ihnen betroffen. An Regeln halten sich die Randalierer hingegen schon. Beispielsweise an die Regel, dass man Steine nicht auf Leute wirft, die eine Kapuzenjacke tragen. Sondern auf Leute in Polizeiuniform. Auch das ist eine Regel.
Ist Anarchie machbar, Frau Nachbar?
Immer wieder werden die Leute, die in England bei riots mitmachen, in Frankreich bei émeutes , oder die in Deutschland randalieren, auch als Anarchisten bezeichnet. Da ist allerdings nicht ganz der richtige Begriff getroffen. Und hier geht es nicht um Wortklauberei. Es geht um einen nicht ganz unwichtigen Unterschied: den Unterschied zwischen Regeln und Herrschaft .
Bei der Anarchie geht es darum, dass niemand über andere herrscht . (Das griechische archÃa für »Herrschaft« wird durch die Vorsilbe »An-« verneint.) Bei der Anomie geht es darum, dass keine Regeln gelten . Ist doch das Gleiche, sagen manche. Nein, ist überhaupt nicht das Gleiche, sagen Polit-Theoretiker, die sich in den vergangenen Jahrhunderten Gedanken darüber gemacht haben, wie eine Gesellschaft ohne Herrschaft aussehen könnte, also eine Anarchie. Ein guter Anarchist grübelt ausgesprochen intensiv darüber nach, wie Regeln fürs menschliche Zusammenleben aussehen sollten. Regeln, die sicherstellen, dass keiner andern einfach so vorschreibt, was sie zu tun haben.
Ein echter Anarchist würde daher einem Randalierer, der gerade einen Gemüseladen abfackelt, wahrscheinlich eins auf die Kapuze geben. Denn wer sagt »Anarchie ist machbar, Herr Nachbar« (wie es schon vor etlichen Jahrzehnten gedichtet wurde), der sorgt sich üblicherweise ein bisschen um seinen Nachbarn. Und um dessen Laden oder Auto.
Auch echte Anarchisten würden also sagen: Regeln braucht der Mensch. Vielleicht sogar Regeln, die man Gesetze nennt. Was ein Anarchist allerdings nicht ganz so leicht beantworten kann, ist die Frage: Wo sollen sie denn herkommen, diese Regeln? So wie es in der Bibel zu lesen ist, dass Gott zehn einfache Gesetze aufschreibt, die Moses vor einigen Tausend Jahren nur abzuholen
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