Ihr schafft mich
über den Schädel, so die Theorie. Entweder um sein Eigentum zu verteidigen. Oder um dem andern dessen Eigentum wegzunehmen.
Vom Eigentum ist es dann nur noch ein kurzer Weg zur Eifersucht. Ein Mann, der sicher sein will, dass er sein Eigentum als Erbe an seine eigenen Kinder weitergibt, muss auch sicherstellen, dass seine Frau nicht mit andern Männern schläft. Denn sonst könnte es ja sein, dass er einen Riesenaufwand betreibt, um seine Erbanlagen an seine Kinder weiterzugeben und ihnen ein Leben in Wohlstand zu ermöglichen â doch in Wirklichkeit sind die Kinder gar nicht seine eigenen, sondern die des netten Nachbarn. Um das zu verhindern, muss dieser Mann auf Monogamie pochen (also darauf, dass seine Frau nicht mit andern Männern ins Bett geht). Eine Frau, die sich nicht daran hält, wird als Hure beschimpft. (Ein entsprechendes Schimpfwort für Männer gibt es nicht, denn denen liegt es ja im Blut, dass sie ihre Erbanlagen weit streuen wollen.) Und wenn die Frau doch untreu wird, dann bringt der Mann sie um. Damit wären auch Morde aus Eifersucht erklärt.
Warum das alles viel zu simpel klingt?
Das Problem vieler solcher Erklärungen liegt auf der Hand. Mit ihnen lässt sich alles erklären. Doch irgendwann landet man endgültig bei Nonsens-Erklärungen nach dem Muster: Warum schnarchen Männer häufiger als Frauen? Weil sie so früher in der Nacht die wilden Tiere vertreiben konnten. Eine Erklärung, die alles erklärt, erklärt aber im Grunde gar nichts. Und verkürzte Darwinismus-Alles-Erklärungen für das menschliche Verhalten sind stets in der akuten Gefahr, viel zu schlicht zu sein.
Beispiel Aggression: Sie ist zu vielschichtig, als dass sie sich nach dem Muster Aggressiver Faustkeilschwinger hat bessere Ãberlebenschancen erklären lieÃe. Der Buhruf in der Oper oder auch im FuÃballstadion ist etwas anderes als der böse Blick, den ein U-Bahn-Fahrgast einem andern zuwirft, der ihn anrempelt. Der Vogel, den ein Radfahrer dem Autofahrer zeigt, der ihn in der Kurve schneidet, ist etwas anderes als die Brüllattacke des Fünfjährigen, der seiner Mutter entgegenschreit: »Ich will, dass du tot bist.« Wenn ein 40-jähriger Mann ganz für sich einen Zehnjährigen umbringt, weil ihn das erregt, dann ist das etwas anderes, als wenn ein 40-jähriger Mann als Aufseher in einem Nazi-Konzentrationslager mithilft, Tausende Menschen zu töten â darunter auch Zehnjährige.
Wenn es um die Erklärung von Gewalt und Aggression im menschlichen Verhalten geht, dann muss immer eines klar sein: Einfache Erklärungen gibt es nicht. Wenn eine Zeitung nach dem Massenmord des Norwegers Anders Behring Breivik im Juli 2011 schrieb, dass solche Gewaltbereitschaft ein Erbe aus der Zeit sei, in der Menschen beim Jagen das Töten gelernt haben, dann ist das zu kurz gedacht. Eine solche Erklärung ist zu simpel, als dass sie hilfreich sein könnte. Denn Breivik ist nicht einfach nur jemand, dessen Jagdinstinkt in die falsche Richtung gelaufen ist. Hinter dem Irrsinn seiner Verbrechen steckt viel mehr.
Die Aggression, die im Menschen â und vor allem in Männern â brodelt, lässt sich also nicht mit ein paar einfachen Sätzen erklären. So wie die gesamte menschliche Gesellschaft eine reichlich komplizierte Angelegenheit ist, so ist auch die Sache mit der Gewalt kompliziert. Darüber muss man aber nicht verzweifeln. Man kann es auch erst mal damit bewenden lassen, dass Aggression zur menschlichen Natur gehört. Bei den einen tritt sie stärker hervor, bei den andern weniger. Andere wiederum macht sie zu Verbrechern.
Und es gibt auch eine tröstliche Erkenntnis. Alle menschlichen Gesellschaften zu allen Zeiten haben eines gemeinsam: Das Verbot, andere Menschen zu töten, ist das oberste Verbot. Wer dagegen verstöÃt, hat die höchste Strafe zu erwarten. Erstaunlicherweise gibt es von dieser Vorschrift allerdings eine Menge Ausnahmen. Womit sich die Frage stellt: Wie kann das sein?
Kapitel Dreizehn
Töten geht nicht. AuÃer manchmal.
Wie es sein kann, dass es selbst für die oberste Regel Ausnahmen gibt.
An dieser Stelle mal eine direkte Frage: Schon mal jemanden getötet? Wahrscheinlich nicht. Leute, die Bücher wie dieses hier lesen, sind üblicherweise keine Mörder. Und auch keine Totschläger. (Wobei die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag einige interessante
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