Ihr stolzer Sklave
ungeweinter Tränen.
Eigentlich hätte es ihr nichts ausmachen dürfen, dass er sie nicht hatte festhalten wollen. Sie sollte dankbar dafür sein, dass er an seine Ehre dachte. Und an die ihre. Aber als sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war, hatte sie das Gefühl gehabt, diesen Mann nicht zu kennen, so fremd hatte er sie angeschaut. Er hatte sich Sorgen um sie gemacht, und es hätte gutgetan, sich in seinen Armen auszuruhen. Sie hätte gern ihr Gesicht an seiner Schulter vergraben, hätte gern geweint und seine Stärke gespürt.
Stattdessen hatte er sie fortgestoßen.
Sie war völlig verwirrt. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich derart gefürchtet. Kieran hatte sie zwar vor den feindlichen Stammesangehörigen gerettet, aber es war für sie eine vollkommen unbekannte Erfahrung, Opfer eines Überfalls zu sein. Wenn er nicht in ihrer Nähe gewesen wäre, hätte man sie sicher als Geisel mitgenommen. Nur die Heilige Jungfrau wusste, was ihr da alles hätte zustoßen können.
Davins zahlreiche Warnungen, niemals allein weit fortzugehen, fielen ihr plötzlich ein. Sie wusste nicht, was über sie gekommen war, Kieran in den Wald zu folgen.
Aber als sie ihn am Tor stehen sah, hatte sie, ohne lange nachzudenken, eingegriffen und die Entscheidung getroffen, ihn zu begleiten. Ihr Verstand und ihr Temperament waren verschiedene Wege gegangen. Denn es hatte keinen ersichtlichen Grund gegeben, warum sie mit ihm gehen sollte. Da war nur das tiefe Gefühl gewesen, ihm helfen zu müssen, auch wenn es falsch war.
Hatte sie mit ihm allein sein wollen? Hatte sie, als sie zustimmte, ihn zu begleiten, vielleicht Hintergedanken gehabt, die auf etwas anderes hinausführten? Sie kannte sich selbst nicht mehr. Seit ihrem Kuss hatte sie den Eindruck, dass all ihre Gefühle durcheinandergeraten waren. Kieran führte sie auf eine Art in Versuchung, wie sie es bis jetzt noch nicht gekannt hatte. Und – Gott helfe ihr – die Empfindungen, die er in ihr weckte, machten ihr Angst. Sie durfte nicht schwach werden. Die Ehre band sie an einen anderen Mann. Iseult holte tief Luft und gab sich Mühe, einen klaren Kopf zu behalten. Was ihr gewissenloses Herz ersehnte, war nicht wichtig.
Er wartete vor dem Tor des Ringwalls auf sie. Er balancierte den schweren Holzklotz auf der Schulter, den Eibenast hielt er in der Hand. Sie wusste nicht, wozu er es benötigte, aber er behandelte das wertvolle Holz, als wäre es ein kostbarer Besitz.
Iseult schluckte hart und trat durch das Tor. Und lief sofort Davin über den Weg.
„Wo, im Namen von Lug, bist du gewesen?“, wollte er wissen. Dann starrte er auf die dunkle Schwellung an ihrer Wange, und sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. Als Kieran den Ringwall betrat, versetzte Davin ihm einen Faustschlag gegen das Kinn. Das Holz polterte zu Boden. Kieran richtete sich mit kaltem Blick auf.
„Nein!“, protestierte Iseult und versuchte, sich zwischen beide zu stellen.
Dies hier war ihr Fehler, nicht seiner.
Davin stieß sie beiseite. „Ich töte diesen Bastard, weil er dich angerührt hat.“ Sein Gesicht drückte blanken Hass aus, und er versetzte dem Sklaven einen weiteren Schlag in die Rippen. Kieran stöhnte auf vor Schmerz, aber er machte keine Anstalt, zurückzuschlagen. Stattdessen blieb sein Gesicht ausdruckslos. Fast so, als würde er eine Bestrafung akzeptieren.
„Er schützte mich vor Sullivans Stammesleuten“, sagte Iseult und packte Davin am Handgelenk. „Wäre Kieran nicht gewesen, wäre ich jetzt ihre Geisel.“
„Erstens hättest du gar nicht draußen sein sollen“, stieß Davin hervor.
Eine Ader trat an seinem Hals hervor. „Und zweitens hattest du keine Erlaubnis, hinauszugehen.“
„Seit wann bin ich deine Gefangene?“, verlangte sie zu wissen.
„Du stehst unter meinem Schutz. Und wenn das heißt, dass ich dich gefangen halten muss, dann soll es so sein.“
Iseult blieb der Mund offen stehen. Das konnte sie nicht glauben! Noch nie hatte sie Davin sich so aufführen sehen, so voller Zorn. Er wollte es nicht einsehen, also wandte sie beiden Männern den Rücken zu und ging auf Muirnes Hütte zu. Wenn sie jetzt blieb, würde sie Dinge sagen, die sie später bereute.
Doch dann hielten Davins Worte sie jäh auf.
„Bindet ihn. Er kann den Rest des Tages am Geiselstein verbringen. In Zukunft verlässt kein Mann den Ringwall ohne meine Erlaubnis.“ Wut kochte in ihr hoch. Wie konnte er so etwas tun,
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