Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
erzähle ich es. He, Kameramann! Die Linse jetzt hierher!«
Wie befohlen richtete Max Hoffmann die Kamera jetzt auf Achim Volz.
Während er das tat, berichtete Kommissar Gebert Inga Jäger über den Knopf in ihrem Ohr schnell vom Status quo des Einsatzkommandos auf der Rückseite der Kellermauer.
» Verstehe«, flüsterte Inga Jäger, nachdem sie die schlechte Nachricht, dass ein Stürmen durch die Wand unmöglich war, verdaut hatte.
Das ließ ihr nur eine Möglichkeit, für den Fall, dass die Dinge hier außer Kontrolle gerieten.
» Die Otto soll sich bereithalten für ein Ablenkungsmanöver auf mein Kommando.«
» Was haben Sie vor?«, fragte Gebert.
» Eingreifen, falls es nötig werden sollte.«
» Aber…«
» Jäger Ende«, unterbrach sie ihn knapp. Sie durfte auf keinen Fall riskieren, dass Volz bemerkte, dass sie parallel zu seiner Live-Übertragung mit der Einsatzleitung kommunizierte.
» Mein Name ist Achim Volz«, sagte der gerade mit Blick in die Kamera. » Die Schwester meines Großvaters Clemens, Margarete Volz, war eines der vielen Hundert Opfer von Doktor Wilhelm Schneider.
Sie wurde mit einer falschen Diagnose in die Psychiatrie Eichberg eingewiesen und am 22. September 1941 im zarten Alter von dreizehn Jahren von Doktor Schneider im Weinberg vor der Anstalt durch einen Schuss in den Hinterkopf hingerichtet.
Mein Großvater gab sich an dieser Bluttat eine Mitschuld, und als er 1945 aus dem Krieg heimkehrte, tötete er aus blinder Rache heraus Wilhelm Schneiders zwölfjährige Tochter Eva.
An derselben Stelle, an der Gretchen ermordet wurde, und ebenfalls am 22. September.
Damit und mit dem späteren Todesurteil gegen Wilhelm Schneider war der Gerechtigkeit in seinen Augen Genüge getan. Wie groß aber war seine Überraschung, als er über zehn Jahre später plötzlich Wilhelm Schneider, den er schon lange für tot hielt, in Wiesbaden zufällig über den Weg lief!
Zunächst glaubte er natürlich, er habe sich geirrt. Aber es ließ ihm keine Ruhe, und er begann, Nachforschungen anzustellen. Er fand schließlich heraus, dass das Monster vom Eichberg tatsächlich noch lebte… und auch wieder als Arzt praktizierte!
Mein Großvater fühlte sich von Regierung und Justiz um Gerechtigkeit für den Mord an seiner Schwester und all den anderen Opfern betrogen und hatte nachvollziehbarerweise mit einem Schlag sämtliches Vertrauen in sie verloren.
Deshalb kam es ihm überhaupt nicht in den Sinn, den Arzt anzuzeigen. Nein, er musste dafür sorgen, dass er selbst in der Öffentlichkeit seine schrecklichen Verbrechen gestand und die Konsequenzen daraus zog.
Also schrieb er Schneider einen anonymen Brief, in dem er ihm damit drohte, dass die Vergangenheit sich wiederholen würde, wenn er sich nicht offen zu seinen früheren Schandtaten bekennen würde.
Aber Schneider reagierte nicht und führte in aller Ruhe sein Leben als Kinderarzt und unbescholtener Bürger.
Da tötete mein Großvater Sophia, Schneiders zweite Tochter, eingedenk des Alters seiner Schwester dreizehn Jahre, nachdem er Eva getötet hatte, an Gretchens Todestag, an ebender Stelle, an der auch sie ermordet worden war.
Doch Schneider rührte sich auch danach nicht. Mehr noch, er ließ sogar zu, dass sein eigener Schwiegersohn, Sophias Ehemann, für die Tat verurteilt und bestraft wurde… und sich ein Jahr später in der eigenen Zelle erhängte. Alles, um nicht aufzufallen.
Aber mein Großvater gab sich nicht geschlagen. Jedes Jahr zum 22. September schrieb er Wilhelm einen Brief, in dem er drohte, dass 1971 wieder ein Mädchen aus seiner Familie sterben würde, wenn er sich nicht in aller Öffentlichkeit zu seinen Gräueltaten bekannte.«
» Moment«, unterbrach Inga Jäger den grausigen Bericht. » Wenn Wilhelm Schneider doch wusste, dass 1971, am 22. September, ein weibliches Mitglied seiner Familie an genau dem Ort umgebracht werden sollte, an dem schon Eva und Sophia starben, warum hat er die Polizei nicht eingeschaltet, damit die seine Familie beschützte und Ihren Großvater Clemens stellte?«
» Damit treffen Sie genau den Kern der Sache, Frau Staatsanwältin«, antwortete Volz. » Mein Großvater wollte ja, dass er die Polizei einschaltete und dann den Hintergrund der Morddrohung erklären musste, damit seine Vergangenheit endlich ans Licht kam. Aber für Wilhelm Schneider gab es offenbar nichts Wichtigeres, als ebendiese Vergangenheit zu begraben und hinter sich zu lassen.
Inzwischen wussten in seiner Familie nur
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