Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
dass seine Kiefer so fest mahlten, dass die Wangenmuskeln hervortraten, und das altersfaltige Lid seines linken Auges angefangen hatte, unkontrolliert zu zucken.
» Na komm, Gunther«, sagte Achim Volz zu ihm. » Erzähl Frau Jäger und unseren interessierten Zuschauern im ganzen Land, wie dein Mörder-Vater in Wirklichkeit für seine Gräueltaten bestraft wurde.«
Inga Jäger horchte irritiert auf. Gunther Schneider hatte ihr erzählt, dass sein Vater nach der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten zum Tode verurteilt worden war. Hatte er gelogen?
» Er wurde von einem ordentlichen Gericht zum Tode verurteilt«, sagte Gunther Schneider leise.
» Aber?«, fragte Volz nach. » Ist er denn auch hingerichtet worden, Gunther?«
» Die Vollstreckung des Urteils zog sich hin«, sagte Gunther– noch leiser.
» Über vier verdammte Jahre!«, rief Volz. » Bis 1949.«
Als Rechtswissenschaftlerin wusste Inga Jäger sofort, was das bedeutete.
» 1949 wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erlassen«, sagte sie. » Und darin war die Todesstrafe dann abgeschafft worden.«
» Genau!«, echauffierte sich Volz. » Und das rechtmäßige Todesurteil gegen Wilhelm Schneider wurde, wie bei vielen anderen Nazi-Verbrechern ebenfalls, umgewandelt– in eine lebenslange Freiheitsstrafe! Aber das ist immer noch nicht das Ende der Geschichte, nicht wahr, Gunther?«
» Es war alles rechtens!«, sagte Gunther verzweifelt.
» Rechtens?!« Inga Jäger sah, dass Volz mehr und mehr Schwierigkeiten hatte, nicht auch noch den letzten Rest an Fassung zu verlieren.
Dem fiebrigen Glanz in seinen Augen nach zu urteilen, stand er kurz davor, Gunther Schneider vor laufender Kamera abzustechen oder zu erschießen, wenn der jetzt nicht endlich aufhörte, derart ausweichend zu antworten.
» Hat dein Vater diese lebenslange Freiheitsstrafe denn verbüßt?«, fragte Volz weiter.
» Er hat…«, begann Schneider.
» Beantworten Sie seine Frage, Doktor Schneider!«, forderte nun auch Inga Jäger. » Direkt und ohne herumzudrucksen! Hat Ihr Vater, nachdem er der Vollstreckung des Todesurteils entgangen war, seine lebenslange Haftstrafe abgesessen?«
» Nein«, gab Schneider schließlich kleinlaut zu, den Blick schamhaft zu Boden gerichtet. » Das hat er nicht.«
» Sondern?«
Inga Jäger war schockiert. Jetzt begriff sie zumindest teilweise den Grund für die Wut des jungen Winzers– was aber noch lange nicht hieß, dass sie gutheißen konnte, was er tat… und auch nicht, was sein Großvater und sein Vater getan hatten.
Gunther musste einige Male tief durchatmen, ehe er sich genug gesammelt hatte, um zu antworten. » Er wurde 1953 durch einen Erlass des hessischen Ministerpräsidenten und Justizministers begnadigt und freigelassen.«
War Inga Jäger zuvor schockiert, war sie jetzt vollkommen fassungslos.
Aber Volz war offenbar noch nicht fertig. » Und wurde die Öffentlichkeit über seine Begnadigung und die anschließende Freilassung informiert?«
» Nein, es… es geschah unter Ausschluss der Öffentlichkeit.«
» Gerade einmal acht Jahre Haft!«, schrie Volz ihm ins Gesicht.
Inga Jäger begriff immer besser, worum es hier ging.
» Acht verfluchte Jährchen!«, ereiferte sich Volz weiter. » Und das, obwohl dein Vater von den über vierhundert auf dem Eichberg getöteten Kindern nachweislich über zweihundert mit seinen eigenen Händen ermordet hat. Vergiftet, totgespritzt und erschossen. Darunter auch Gretchen, die kleine Schwester meines Großvaters. Acht Jahre!«
» Mein Vater hat lediglich Befehle ausgeführt!«, hielt Schneider dagegen, und Inga Jäger kniff die Augen zusammen.
Hinter diesem Argument versteckten sich Kriegsverbrecher schon seit Anbeginn der Zeit, und sie wusste, dass dieser fadenscheinige Rechtfertigungsversuch Volz noch wütender machen würde, als er es ohnehin schon war.
» Und hatte dafür, gemäß des sogenannten Londoner Statutes, in dem vom Internationalen Militärgerichtshof im Jahr 1945 anlässlich des Nürnberger Prozesses Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Tatbestand festgelegt wurde, das Todesurteil verdient«, schaltete sie sich deswegen zügig dazwischen. » Wie konnte er da nur begnadigt werden?«
Volz stieß ein spöttisches Lachen aus. » Amtierende Bundes- und Landesminister haben auf seine Begnadigung gedrängt«, sagte er. » Aber es kommt noch weit schlimmer, Frau Staatsanwältin, glauben Sie mir.«
Noch schlimmer?
Er wandte sich wieder Gunther zu. » Wie hat
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