Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Strafe jemals wieder irgendetwas Vergangenes gutmachen oder einem den Menschen zurückbringen kann, den man verloren hat.«
Er legte die Stirn in Falten. Da war Mitgefühl in seinem Blick, und bei dem Gedanken, dass er ganz offenbar glaubte, er habe mit dem Tod der Schwester seines Großvaters, der sich fast vierzig Jahre vor seiner eigenen Geburt ereignet hatte, auch nur ansatzweise den gleichen Verlust erlitten wie sie bei der Ermordung ihres Mannes und sie das zu einer Art Geschwister im Geiste machte, hätte Inga Jäger am liebsten gekotzt, doch sie verkniff es sich, sich das ansehen zu lassen.
Aber sein überhebliches und unwillkommenes Mitgefühl gab ihr möglicherweise einen Hebel, die Situation hier unten zu einem glimpflichen Ende zu bringen.
» Das ist eine seltsame Ansicht für eine Staatsanwältin«, sagte er.
» Wieso?«
» Sie steht im völligen Widerspruch zu Ihrem Beruf.«
» Mein Beruf ist nicht Rache«, sagte sie resolut.
» Aber Gerechtigkeit und Strafe«, hielt er dagegen.
» Nein«, sagte sie. » Auch nicht Gerechtigkeit und Strafe. Ich jage und bekämpfe Verbrecher, um sie an weiteren Verbrechen zu hindern und um anderen Menschen aufzuzeigen, dass Verbrechen Konsequenzen nach sich ziehen.«
Zu ihrem Erstaunen lächelte Achim Volz jetzt. » Dann verstehen Sie meinen Großvater und mich besser, als Sie sich selbst gegenüber eingestehen wollen.«
Und damit richtete er seine Waffe auf Gunther Schneider und zielte.
In diesem Sekundenbruchteil erkannte Inga Jäger, dass ein glimpfliches Ende eine Illusion war.
» Gebert! Jetzt!«, rief sie– in der Hoffnung, dass er und das Team schnell genug reagieren würden… und noch bevor Achim Volz den Finger um den Abzug krümmen konnte, brach hinter der Rückwand des Kellers das Chaos los.
Eine Serie krachender Explosionen erschütterte den Raum. Es klang, als würden gleich mehrere Maschinenpistolen auf einmal abgefeuert werden, und Achim Volz wirbelte erschrocken zu der Wand herum, von hinter der sie kamen.
Das war Inga Jägers einzige Chance, und das wusste sie.
Sie sprang nach vorne und stürzte sich auf ihn, um ihn mit der ganzen Wucht ihres Körpers und mit dem Gesicht voran gegen die Mauer zu schleudern. Gleichzeitig griff sie dabei nach seinem Handgelenk und verdrehte es so fest sie konnte.
Mit einem lauten Schmerzensschrei ließ er die Luger fallen.
» Max!«, rief sie, während sie mit dem völlig überraschten Volz zu Boden ging und mit ihm rang. » Nehmen Sie die Pistole! Schnell!« Und: » Gebert! Stürmen!«
Als er sich unter ihr aufbäumte, bekam sie die Kraft des Winzers in Volz’ Muskeln zu spüren. Sie wusste, dass sie ihm unbewaffnet auf Dauer nicht standhalten konnte. Aber sie musste ihn ja auch nur lange genug in Schach halten, bis das Team, das von oben kam, die Türen aufgebrochen hatte und ihnen hier im Keller zu Hilfe kam.
Fünfundvierzig Sekunden Maximum.
Er warf sich hin und her, um sie abzuschütteln, und schlug mit der Faust nach ihrem Gesicht. Zweimal traf er sie, an Jochbein und Schläfe, ziemlich hart, und für ein paar Herzschläge lang flimmerte es schwarz vor ihren Augen. Sie hieb mit der Stirn nach ihm und schmetterte sie ihm, mit all dem Schwung, den sie aufbringen konnte, gegen das Ohr. Er knurrte auf vor Schmerzen, und für einen Sekundenbruchteil ließ seine mörderische Kraft nach, und sie beeilte sich umzugreifen.
Es gelang ihr, von halb hinten einen Arm um seinen Hals zu schlingen, und sie drückte so fest zu, wie sie konnte. Wenn sie ihn richtig zu packen bekam, konnte sie ihn durch schnelles Abpressen der Halsschlagader bewusstlos strangulieren.
Er spannte seine Halsmuskeln an, um ihrem Würgegriff entgegenzuwirken, und mit einer Hand versuchte er, ihren Unterarm von seiner Kehle wegzuziehen. Doch sie packte mit ihrer anderen Hand das eigene Handgelenk, um den Schraubstock zu sichern. Noch vier oder fünf Sekunden, und er würde kollabieren.
Da spürte sie etwas Spitzes an ihrer Seite… knapp unterhalb ihrer Schutzweste.
Der Hirschfänger!
Volz versuchte, ihn unter die Weste zu fädeln, um sie zu erstechen.
Er zielte auf ihre Leber– ein sicherer Tod.
Darauf hoffend, dass Max inzwischen die Pistole an sich gebracht hatte, ließ sie eilig los und rollte sich zur Seite und von der Klinge weg, um aufzuspringen.
Doch Max hatte die Pistole noch nicht. Der Kampf war ihr im Adrenalinrausch sehr viel länger vorgekommen, als er in Wirklichkeit gedauert hatte.
Der Reporter hatte sich gerade
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