Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
selbst etwas antun. Es gibt keinerlei darüber hinausgehende Interaktion.«
» Sie werden nicht einmal gemaßregelt, wenn sie etwas anstellen?«, fragte Gebert überrascht.
» Nein«, antwortete Götz. » Welchen Sinn würde das machen, Herr Kommissar? Sie sind doch hier, weil sie unverbesserlich sind. Strafen bewirken bei ihnen nichts mehr.«
37
» Haben Sie sich bei einem Fall jemals so sehr im Kreis gedreht wie bei diesem?«, fragte Kommissar Gebert und steuerte seinen Wagen kurz hinter Eltville auf die A66 in Richtung Wiesbaden, die um diese Uhrzeit nur in der Gegenrichtung dicht befahren war. Wie so oft in den letzten Tagen regnete es. Aber wenigstens ohne den für Hamburg so typischen schneidenden Wind.
» Es kommt mir viel weniger wie ein Sich-im-Kreis-Drehen vor als mehr wie…« Inga Jäger suchte nach einem passenden Vergleich, aber es fiel ihr keiner ein.
» Ein Stochern im Nebel?«
» Ja, das ist es«, sagte sie und schaute durch das Seitenfenster in die dunkelgraue Leere hinter den schlierenhaft über das Glas huschenden Wassertropfen. » Wie ein Stochern im Nebel. Kaum taucht irgendwo und unerwartet ein Schatten auf und man greift danach, ist er auch schon wieder verschwunden.«
» Kriminalistik ist eben, sosehr wir uns das auch immer wieder wünschen mögen, keine exakte Wissenschaft. Ebenso wenig wie Psychologie«, sagte er lakonisch, aber an dem Seufzen, das er hintendran fügte, erkannte sie, dass er nicht weniger bedrückt war als sie selbst. » Aber so, wie es aussieht, bleibt Heiko Reichard unser Hauptverdächtiger.«
Sie malte mit dem Zeigefinger einen Traurig-Smiley auf die von ihrem Atem beschlagene Scheibe– und wischte ihn dann wieder weg, um ihn durch einen lächelnden zu ersetzen. » Ich habe einfach nach wie vor kein gutes Gefühl dabei, Gebert«, sagte sie sinnierend. » Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, aber unsere bisherigen Ermittlungen haben rein gar nichts zutage gebracht, das ihn mit den ersten beiden Morden in Verbindung bringt, und ich will bei ihm ganz bestimmt nicht den gleichen Fehler machen, den man damals bei Thomas Eser und Ludwig Krüger gemacht hat.«
Sie drehte sich im Sitz herum und sah an Geberts nachdenklichem Nicken, dass er die beiden Letztgenannten inzwischen ebenso für unschuldig hielt wie sie und dass auch für ihn die Vorstellung, dass sie so viele Jahre ungerechtfertigt im Gefängnis gesessen hatten, eine grausame war.
Zwanzig und dreizehn Jahre unschuldig und mit anderen, wirklichen Verbrechern zusammengesperrt hinter Gittern. Nicht nur der geliebten Frau durch einen brutalen Mord beraubt, sondern dann auch noch von all jenen, denen man jemals etwas bedeutet hat, verlassen und vergessen.
Weggeschlossen hinter Mauern, durch die hindurch niemand deine Schreie hört… dein Weinen… oder auch deine Gebete.
Allein die Vorstellung davon ließ Inga Jäger einen Hauch der Verzweiflung spüren, mit der Krüger und Eser all die Jahre hatten leben müssen, und sie fragte sich, wie sie das überhaupt hatten ertragen können.
Auf gar keinen Fall wollte sie jetzt diejenige sein, die dafür verantwortlich wäre, Heiko Reichard auf die gleiche Weise Unrecht zu tun.
Aber was, wenn er doch schuldig war? Wenn er der einzige der drei war, der wirklich eine Strafe verdiente, und sie ihn davor bewahrte und davonkommen ließ, weil ihr Mitleid mit Krüger und Eser ihren Blick auf ihn trübte?
Ja, Gebert hatte mit seinem Vergleich recht. Stochern im Nebel traf es so ziemlich genau.
Sie rief sich ihre erste Begegnung mit Heiko Reichard in Erinnerung und wie er auf die Nachricht von der Ermordung seiner Frau reagiert hatte und vor allem darauf, dass man ihr das Herz herausgeschnitten hatte.
» Ich glaube nicht, dass Reichard schuldig ist«, dachte sie laut.
» Okay«, sagte Gebert grübelnd. » Also sollten wir Ihrer Meinung nach schwerpunktmäßig davon ausgehen, dass keine der drei Frauen von ihrem eigenen Mann umgebracht wurde und wir es tatsächlich mit einem Serienkiller und somit mit relativer Sicherheit mit völlig anderen Motiven zu tun haben als den herkömmlichen… Eifersucht oder Geldgier.«
Sie erreichten die Abfahrt Mainzer Straße, und er blinkte und bog nach rechts.
» So unwahrscheinlich das klingt, aber es liegt zumindest im Bereich des Möglichen«, sagte sie. » Wir müssen herausfinden, was Sieglinde Reichard, Magda Eser und Marlene Krüger gemeinsam hatten– außer der Art des Todes und dem Tatort.«
» Gut«, sagte er. »
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