Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Ich setz die Otto drauf an.«
» Ja, bitte tun Sie das«, sagte sie. » Jeder einzelne Tag, an dem wir nicht weiterkommen und nichts in der Hand haben als unsere Instinkte und halbseidene Indizien, ist ein weiterer Tag, den Thomas Eser zu Unrecht im Gefängnis verbringen muss.«
» Trotzdem sollten Sie für heute Feierabend machen«, mahnte er, während er die Geschwindigkeit zurücknahm und das Lenkrad einschlug, um den Wagen nach rechts auf den rückwärtigen Parkplatz der Staatsanwaltschaft zu fahren, wo Inga Jäger ihren Mercedes stehen hatte. » Sonst brennen Sie mir noch aus, und wir werden die Wahrheit nie erfahren, und dann muss Thomas Eser noch länger sitzen.«
» So schnell geht das mit dem Ausbrennen bei mir nicht, keine Sorge«, sagte sie. Dennoch gab es ihr ein angenehmes Gefühl, dass er sich um sie sorgte. » Aber meine Tochter erwartet mich schon sehnsuchtsvoll zuhause.«
» Es ist schön, wenn man von jemandem erwartet wird«, sagte er, und es klang ein wenig melancholisch.
» Ja, das ist es.« Der Gedanke an ihren Mann, der sie nie wieder zuhause erwarten würde, klammerte sich um ihr Herz, und trotzdem war da noch genügend Mitgefühl übrig für ihren neuen Kollegen, der seine Frau vor sehr viel längerer Zeit verloren hatte, sie aber ganz offensichtlich noch sehr vermisste.
Inga war hin- und hergerissen, ob sie das auf eine romantische Weise wunderschön finden sollte oder erschreckend, wenn sie an ihre eigene Zukunft dachte und die Jahre, die vor ihr lagen.
Sie wusste, dass sie ihren Mann immer lieben und ihn auch immer vermissen würde– aber würde auch die Trauer um ihn in ihr immer so groß bleiben, wie sie sie in diesem Moment in Geberts Blick lesen konnte?
» Darf ich Sie vielleicht zum Essen mit mir und meiner Tochter einladen?«, fragte sie unvermittelt und überraschte sich damit selbst fast noch mehr als ihn.
Für einen Moment erhellte sich sein Gesicht, doch dann sagte er: » Das ist lieb von Ihnen. Danke. Ein andermal gern. Aber heute habe ich noch zu viel zu tun.«
» Was denn?«
Als er erst nachdenken musste, erkannte sie, dass er nach einer Ausrede suchte.
Sie hatte nicht das Gefühl, dass ihm die Einladung unangenehm war, sondern eher, dass er zu den Menschen gehörte, denen es schwerfiel, einen Gefallen anzunehmen.
» Ähm… ja, wie gesagt, ich muss der Otto noch sagen, dass sie nach Gemeinsamkeiten zwischen den drei…«
» Das kann bis morgen warten«, unterbrach sie ihn. » Heute Abend findet sie eh nichts mehr heraus; die Ämter sind ja alle geschlossen.«
» Aber ich sollte noch…«
» Was Sie sollten, ist, für heute Feierabend machen… sonst brennen Sie mir noch aus.«
» Hm«, machte er. » Na, wenn Sie mich mit meinen eigenen Waffen schlagen, was soll ich da noch groß sagen?«
» Sagen Sie Ja.«
» Okay. Ja. Gerne.«
» Das ist schön«, sagte sie und meinte es von Herzen. » Aber es gibt nichts Besonderes. Ich bin in der neuen Wohnung noch nicht richtig eingerichtet.«
» Wie? Jetzt machen Sie doch wieder einen Rückzieher?«, fragte er, aber er lächelte dabei. » Wenn Sie mich schon zum Essen einladen, muss es auch was Anständiges geben.« Sie lachte spontan auf. » Der Herr hat auch gar keine Ansprüche, oder?«
Er lachte mit. » Der Herr ist bis zum Rand voll mit Ansprüchen. Was gibt’s denn? Ravioli aus der Dose?«
» Na, ein bisschen anspruchsvoller sind wir dann doch schon«, sagte sie. » Aber zugegebenermaßen sind es im Moment noch Fertiggerichte aus der Tiefkühltruhe.«
» Und dann im Ping heiß gemacht?«
» Was ist ein Ping?«
» Mikrowelle.«
» Nun ja, geht am schnellsten.«
Er rümpfte die Nase. » Wir fahren bei einem Supermarkt vorbei. Sie kaufen, ich koche.«
» Sie können kochen?«
» Wer so gern isst wie ich, hat gar keine andere Wahl.«
» Okay«, sagte sie und stieg aus, um zu ihrem Wagen zu gehen. » Fahren Sie vor.«
38
Inga Jägers Wohnung.
Eine halbe Stunde und zwei Supermarktbesuche später standen Inga, Tanya und Gebert in Ingas Küche in der Wohnung am Herzogsplatz und werkelten eifrig. Sehr zu Ingas Überraschung war die erste Begegnung zwischen ihrer kleinen Tochter und ihrem neuen Kollegen völlig zwanglos verlaufen.
Er war einfach in die Tür hineingestapft, gut gelaunt und selbstbewusst wie ein Nikolaus, hatte zunächst die sich verabschiedende Tagesmutter Vikki Limpach begrüßt, dann Tanya die große Hand entgegengestreckt und gesagt: » Hallo, Tanya. Ich bin Kai. Ich arbeite für deine
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