Ihr wahrer Name
genauer ansehen.« Dann marschierte sie weg, in Richtung des Ärzteparkplatzes, die ein Pfeil im Flur angab.
Don und Rhea traten gerade aus einem anderen Aufzug. Don sagte: »Begreifst du denn nicht, Schatz, daß dich genau so etwas angreifbar macht gegenüber der Kritik von Leuten wie Praeger -die Tatsache, daß du Menschen an diese Erinnerungen heranführst?«
»Er wußte, daß er nach dem Krieg in England gewesen war«, sagte sie. »Das ist nichts, was ich mir ausgedacht oder worauf ich ihn hingeführt habe. Und die Erinnerungen an die Kalkgruben - Don, wenn du dabeigewesen wärst - ich habe wirklich schon viele grauenvolle Erinnerungen von Patienten gehört, aber ich habe dabei noch nie weinen müssen. Es ist mir immer gelungen, die professionelle Distanz zu wahren. Doch zu sehen, wie die eigene Mutter lebendig in eine Grube gestoßen wird, die sie bei vorgehaltener Waffe mit Kalk hat füllen müssen, diese Schreie zu hören -und dann noch zu wissen, daß der Mann, der für den Tod deiner Mutter verantwortlich ist, solche Macht über dich hat, dich in eine kleine Kammer einsperrt, dich schlägt, dich verspottet... Es war einfach erschütternd.«
»Das kann ich nachvollziehen«, mischte ich mich ein. »Aber es sind so viele Unstimmigkeiten in dieser Geschichte. Selbst wenn Ulf Hoffman gewußt haben sollte, daß dieser eine kleine Junge der Kalkgrube entgangen war - wie ist es ihm gelungen, seine Spur in den Kriegswirren nicht zu verlieren, zuerst in Theresienstadt und später in England? Wenn Hoffman wirklich Einsatzgruppenführer gewesen ist, hätte er während des Krieges mehr als genug Gelegenheiten gehabt, den Jungen umzubringen. Aber in Hoffmans Einreisepapieren heißt es, sie seien mit einem holländischen Handelsschiff von Antwerpen nach Baltimore gekommen.«
»Das heißt nicht, daß er nicht von England weggefahren ist«, sagte Rhea. »Und was Ihr anderes Argument anbelangt: Ein Mensch mit schlechtem Gewissen ist zu allem fähig. Ulf Hoffman ist tot; wir können ihn nicht fragen, warum er so besessen war von dem kleinen Jungen. Aber wir wissen, daß er geglaubt hat, ein jüdisches Kind könnte ihm bei Problemen mit den amerikanischen Einwanderungsbehörden helfen. Wenn er also darüber informiert war, wo sich Paul aufhielt, war es nur natürlich, daß er sich als sein Vater ausgeben und ihn bei sich aufnehmen würde.« »Hoffman hatte ein offizielles Entnazifizierungsdokument«, widersprach ich. »Und in den Einreisepapieren stand auch nichts davon, daß Paul Jude ist.«
»Wahrscheinlich hat Ulf Hoffman diese Unterlagen vernichtet, sobald er hier war und sich vor Verfolgung sicher fühlte«, sagte Rhea.
Ich seufzte. »Sie haben wirklich eine Antwort auf alles, aber Paul hat eine Art Schrein für den Holocaust errichtet. Er ist voller Bücher und Artikel über die Erfahrungen von Überlebenden. Wenn er ganz in diese Welt eingetaucht ist, kann es gut sein, daß er die Geschichte anderer Menschen mit seiner eigenen Vergangenheit verwechselt. Schließlich sagt er selbst, daß er erst zwölf Monate alt war, als er nach Theresienstadt geschickt wurde. Wüßte er in dem Alter tatsächlich, was er sieht? Immer vorausgesetzt, er ist überhaupt Zeuge geworden, wie seine Mutter und das restliche Dorf auf die Art und Weise ermordet wurden, die er beschreibt.« »Sie haben keine Ahnung von Psychologie oder von Menschen, die Folter überstanden haben«, sagte Rhea. »Warum bleiben Sie nicht bei den Dingen, bei denen Sie sich auskennen, was immer das auch sein mag?«
»Ich kann Vics Argumentation nachvollziehen, Rhea« sagte Don. »Wir müssen uns ernsthaft über dein Buch unterhalten. Wenn sich kein spezifischer Hinweis in Hoffmans Büchern befindet - zum Beispiel etwas wie >Dieser Junge, den ich mitgebracht habe, ist nicht mein Sohn, er heißt eigentlich Radbuka.. A Egal, ich muß sie mir jedenfalls genau ansehen.«
»Don, ich dachte, du bist auf meiner Seite«, sagte Rhea, und ihre kurzsichtigen Augen füllten sich mit Tränen.
»Bin ich auch, Rhea. Deshalb möchte ich ja nicht, daß du ein Buch herausbringst, in dem sich Unstimmigkeiten befinden, die Arnold Praeger und die Leute von Planted Memory so leicht finden können. Vic, ich weiß, daß du die Originale hütest wie die Kronjuwelen, aber könnte ich einen Blick darauf werfen? Das könnte ich in deinem Büro machen, in deiner Anwesenheit.« Ich verzog das Gesicht. »Lotty hat sie mitgenommen, und das macht mich wütend, aber auch besorgt. Wenn jemand
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