Ihr wahrer Name
wegen der Bücher auf Paul geschossen hat, ist ihr Besitz ungefähr so gefährlich wie der von Plutonium. Sie hat versprochen, sie mir bis zum Wochenende zurückzugeben. Ungefähr ein Dutzend Seiten habe ich kopiert, die kannst du dir anschauen, aber... «
»Na, das ist ja toll«, sagte Don mit einem Seufzer der Verzweiflung. »Woher hast du die Sachen überhaupt? Wieso weißt du von Pauls Schrein? Du warst also in seinem Haus, stimmt's?«
Ich nickte widerwillig - jetzt konnte ich nicht mehr verheimlichen, daß ich dort gewesen war. »Ich hab' ihn gleich nach dem Angriff gefunden und die Sanitäter gerufen. Jemand hatte das Haus auf den Kopf gestellt, aber da gab es eine Kammer hinter den Vorhängen in seinem Holocaust-Schrein.
Und in der hat der Angreifer nicht nachgeschaut. Es war wirklich schrecklich dort.«
Noch einmal beschrieb ich die Kammer, die Wand mit den Fotos und die Kommentare, die Paul auf die Bilder von Ulf Hoffman geschmiert hatte. »Die Sachen, die er aus Ihrem Büro mitgenommen hat, Rhea, waren auch da, um Aufnahmen von Ihnen drapiert.«
»Die Kammer würde ich gern sehen«, sagte Don. »Vielleicht gibt es dort andere wichtige Beweisstücke, die dir nicht aufgefallen sind.« »Dann geh ruhig hin«, sagte ich. »Mir ist einmal genug.«
»Keiner von euch hat das Recht, einfach in Pauls Privatbereich einzudringen«, sagte Rhea kühl. »Alle Patienten idealisieren ihre Therapeuten bis zu einem gewissen Grad. Ulf Hoffman war als Vater ein solches Ungeheuer, daß Paul ihm mich als die idealisierte Mutter entgegensetzt, die er nie gehabt hat. Vic, Sie waren in seinem Haus - heute morgen haben Sie mich angerufen, um mich nach seiner Adresse zu fragen. Warum haben Sie das getan, wenn Sie sowieso wußten, wo er wohnt? Und wie sind Sie in das Haus gekommen? Sind Sie sicher, daß Sie nicht selbst auf ihn geschossen haben aus Wut darüber, daß er unbedingt eine enge Verwandtschaft mit Ihren Freunden nachweisen wollte?«
»Ich hab' nicht auf ihn geschossen, auch wenn er allen fürchterlich auf den Wecker gegangen ist«, sagte ich mit sanfter Stimme, aber wütendem Blick. »Doch ich habe jetzt eine Probe von seinem Blut, auf meiner Kleidung. Die kann ich einschicken zum DNA-Test. Dann haben wir ein für allemal den Nachweis, ob er mit Max oder Carl oder Lotty verwandt ist.«
Sie starrte mich bestürzt an. Ich marschierte an ihr vorbei, bevor sie oder Don etwas sagen konnten.
44
Eine Dame verschwindet
Ich fragte mich, ob Paul in seinem Krankenhauszimmer sicher war. Wenn Ilse die Wölfin erfuhr, daß er ihren Angriff überlebt hatte, würde sie dann noch einmal wiederkommen, um ihr Werk zu vollenden? Die Polizei konnte ich nicht bitten, jemanden zu seinem Schutz abzustellen, wenn ich nicht vorher die Sache mit Hoffmans Büchern erklärte. Und davor, den Beamten diese Geschichte begreiflich zu machen, schreckte sogar ich zurück, zumal ich sie selbst nicht ganz verstand. Schließlich entschied ich mich für einen Kompromiß und fuhr noch einmal in den vierten Stock, um der Oberschwester zu sagen, daß mein Bruder Angst habe, die Angreiferin könne zurückkehren und ihn ermorden.
»Wir machen uns Sorgen um Paul«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist, aber er lebt in seiner eigenen Welt. Er glaubt, daß die Nazis hinter ihm her sind. Hat Dr. Herschel Ihnen gesagt, daß es das beste wäre, wenn niemand zu ihm hinein darf, es sei denn, in meiner Anwesenheit oder der seines Arztes oder seiner Therapeutin? Sonst könnte er sich so aufregen, daß er vielleicht ernsthafte Atemprobleme bekommt.«
Sie bat mich, einen Text fürs Schwesternzimmer zu formulieren, und überließ mir dafür einen Computer. Als ich fertig war, übermittelte sie die Nachricht ans Schwesternzimmer und sagte, sie würde dafür sorgen, daß die Zentrale eventuelle Anrufe oder Besucher umleitete. Bevor ich nach Hause fuhr, schaute ich noch in meinem Büro vorbei, um Morrell eine E-Mail zu schicken, in der ich ihm die Ereignisse des Tages schilderte. Bis jetzt hat mich noch niemand verprügelt und auf den Kennedy Expressway geworfen, schrieb ich, aber stressig ist's hier trotzdem. Ich endete mit einer Schilderung des Gesprächs in Pauls Krankenzimmer. Du hast Dich so lange mit Folteropfern beschäftigt - könnte es sich bei dieser Identifikation mit Holocaust-Opfern um einen Fall von dissoziativem Schutz handeln? Die ganze Geschichte ist wirklich gruselig.
Ich schloß den Brief mit jenen Liebes- und
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