Ihr wahrer Name
und Carl gewesen war, jetzt wirkte sie vollkommen ruhig. »Ich möchte, daß Sie sich nicht aufregen. Wenn Ihr Puls zu schnell wird, beenden wir das Gespräch sofort. Haben Sie das verstanden?«
»Sie sollten gar nicht erst mit dem Gespräch anfangen«, sagte Rhea, deren sonstige engelsgleiche Ruhe tatsächlich einmal Ärger wich. Als Don sah, daß Paul sich voll und ganz auf Lotty konzentrierte, nahm er Rheas Hand und drückte sie beruhigend.
»Nein«, flüsterte Paul. »Sie kennt meine englische Retterin. Sie kennt meine wahre Familie. Sie wird Max dazu bringen, daß er sich an mich erinnert. Ich verspreche Ihnen, mich nicht aufzuregen.«
»Ich habe Ulfs Bücher«, sagte Lotty, »und ich werde sie für Sie aufbewahren, bis Sie selbst wieder in der Lage sind, auf sie aufzupassen. Könnten Sie mir eine Frage dazu beantworten? Sie haben neben den Namen >S. Radbuka< etwas geschrieben, nämlich, daß Sofie Radbuka Ihre Mutter war. Woher wissen Sie denn das?« »Ich habe mich daran erinnert«, sagte er.
Ich stellte mich neben Lotty und paßte mich ihrem Tonfall an. »Als Sie Ulfs Bücher zu Rhea mitgenommen haben, hat sie Ihnen geholfen, sich daran zu erinnern, daß Radbuka Ihr eigentlicher Name ist, stimmt's, Paul? Es war eine lange Liste von Namen - Czestvo, Vostok, Radbuka und viele andere. Unter Hypnose haben Sie sich daran erinnert, daß Sie in Wahrheit Radbuka heißen. Das muß ein wunderbarer, aber auch sehr beängstigender Augenblick gewesen sein.« Don schnappte vor Überraschung nach Luft und trat einen Schritt von Rhea zurück, die zu ihm sagte: »So war das nicht. Deshalb muß dieses Gespräch auch sofort aufhören.«
Paul, nun völlig auf mich fixiert, hörte sie nicht. »Ja, ja, so war das. Ich konnte sie alle sehen, die ganzen Toten. Alle Menschen, die Einsatzgruppenführer Hoffman ermordet hat, wie sie schreiend in die Kalkgrube stürzten... «
Lotty fiel ihm ins Wort. »Sie müssen ruhig bleiben, Paul. Quälen Sie sich jetzt nicht mit diesen schmerzhaften Erinnerungen. Sie haben sich an die Vergangenheit erinnert, und aus der Liste mit den Namen haben Sie sich für >Radbuka< entschieden - Sie haben sich daran erinnert.«
Rhea sah sie von der anderen Seite des Betts giftig an. Wieder versuchte sie, das Gespräch zu unterbrechen, doch Pauls Aufmerksamkeit galt Lotty, nicht ihr.
»Ich hab's gewußt, weil ich als kleiner Junge in England war. Also mußte es so sein.«
»Mußte so sein?« fragte Lotty.
Paul war sehr empfänglich für Stimmungswechsel; als er die unerwartete Härte in Lottys Stimme hörte, zuckte er zusammen und sah weg. Bevor er sich zu sehr aufregen konnte, schnitt ich ein anderes Thema an.
»Was hat Sie zu der Überzeugung gebracht, daß Ulf Einsatzgruppenführer war? « »Er hat die Toten jeder Familie und jeden schtetls aufgelistet, für deren Sterben er verantwortlich war«, flüsterte er. » Ulf... hat sich immer mit den Toten gebrüstet. Genauso wie er damit geprahlt hat, daß er mich quält. Ich habe diese ganzen Morde überlebt. Meine Mutter hat mich in den Wald geworfen, als sie gesehen hat, daß sie anfangen, die Menschen mit ihren Bajonetten in die Kalkgrube zu stoßen. Irgend jemand hat mich nach Terezin gebracht, aber natürlich... Damals wußte ich nicht... wohin wir gingen... Ulf muß gewußt haben, daß ihm ein Mensch entkommen ist. Er hat mich... in England aufgespürt, mich hierher gebracht... um mich jahrelang zu quälen... weil ich überlebt habe.«
»Sie waren sehr tapfer«, sagte ich. »Sie haben sich gegen ihn gewehrt, Sie haben überlebt. Er ist tot. Haben Sie schon vor seinem Tod von seinen Büchern gewußt?«
»Sie waren... in seinem Schreibtisch... eingesperrt. Im Wohnzimmer. Er... hat mich geschlagen... als ich als kleines Kind in... diese Schubladen geschaut habe. Als er gestorben ist... hab' ich sie genommen... und an meinen geheimen Ort gebracht.« »Und heute ist jemand gekommen, um diese Bücher zu holen?«
»Ilse«, sagte er. »Ilse die Wölfin. Sie stand... vor der Tür. Zuerst war sie freundlich. Hat sie von Mengele gelernt. Zuerst Freunde, dann Folter. Sie hat gesagt... sie ist aus Wien. Hat gesagt, Ulf hat diese Bücher nach Amerika mitgenommen nach dem Krieg... hätte er nicht dürfen. Ich hab' nicht gleich verstanden ... dann hab' ich versucht... mich an meinem geheimen Ort vor ihr zu verstecken... Aber sie hat zuerst... ihre Waffe gezogen.«
»Wie hat sie ausgesehen?« fragte ich, ohne auf Lotty zu achten, die mich zum Schweigen bringen
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