Ihr wahrer Name
Howard Fepple ermordet worden war. Außerdem begann ich, die Verbindung zwischen Durham und Rossy zu sehen. Ihre Bedürfnisse überschnitten sich auf wunderbare Weise: Rossy versorgte Durham mit einem Thema, das ihn ins Licht der Öffentlichkeit rückte, gab ihm das Geld, die Kampagne durchzuziehen, und manipulierte die Gesetzgebung dahingehend, daß sie die Holocaust-Problematik mit der der Entschädigungszahlungen für die Nachkommen der Sklaven koppelte und so die Sache groß und unangreifbar wurde. Durham seinerseits lenkte dafür die Aufmerksamkeit von der Ajax, der Edelweiß und den Holocaust-Zahlungen ab. Ein teuflisch genialer Plan.
Allerdings verstand ich nicht, was in der Sommers-Akte Howard Fepple Anlaß zu der Hoffnung gegeben hatte, daß er bald in Geld schwimmen würde. Vielleicht hatte es etwas mit Hoffmans europäischem Lebensversicherungsbuch zu tun, und Fepple wußte wie ich und jeder andere in der Versicherungsbranche, daß die Edelweiß sich keine Bloßstellung in Sachen Holocaust-Versicherungen leisten konnte.
Aber das erklärte nicht, wie Hoffman zu seinem Geld gekommen war. Vor dreißig Jahren hatte er seine Schweizer Arbeitgeber noch nicht erpressen können, weil Banknoten und Lebensversicherungen von Holocaust-Opfern damals weder in den einzelnen Bundesstaaten noch im Kongreß diskutiert wurden. Hoffman hatte also in kleinerem Rahmen operiert. Auf mich wirkte er nicht wie das große Verbrechergenie, sondern eher wie ein widerlicher Typ, der seinen Sohn mißhandelte und eine unauffällige Methode gefunden hatte, aus ein paar Pennies Dollars zu machen.
Ein Mann schoß aus dem Schatten vor mir auf mich zu. Ich hatte noch gar nicht gewußt, daß ich meine Hand so schnell in mein Schulterholster schieben konnte. Als der Mann mich um ein bißchen Geld anbettelte und mir sein Gestank in die Nase stieg, begann mir der Schweiß in den Nacken zu laufen. Ich steckte die Waffe in meine Jackentasche und fischte in meiner Aktentasche nach einem Dollar, aber er hatte die Waffe schon gesehen und rannte auf wackligen Beinen eine Nebenstraße hinunter.
Ich fuhr zurück in mein Büro und ließ dabei den Rückspiegel nicht aus den Augen. Als ich schließlich dort ankam, parkte ich den Wagen ein ganzes Stück entfernt von dem Lagerhaus, in dem Tessa und ich uns eingemietet hatten. Die Tür schloß ich mit der Waffe in der Hand auf. Bevor ich mich an meinen Schreibtisch setzte, durchsuchte ich Tessas Atelier, den Flur, die Toilette und alle Nischen meines Büros. Es ist schwierig, bei uns einzubrechen, aber nicht unmöglich.
Dann wählte ich die Nummer von Terry Finchley. Er war Mary Louises unmittelbarer Vorgesetzter während ihrer letzten drei Jahre bei der Polizei gewesen, und an ihn wandte sie sich immer noch, wenn sie Insider-Informationen brauchte. Ich wußte, daß er den Mordfall Fepple nicht persönlich bearbeitete, aber er hatte eine Ahnung darüber, wie die Ermittlungen vorangingen, weil er Mary Louise schon so manches darüber mitgeteilt hatte. Doch er war nicht da. Nach kurzem Zögern sagte ich dem diensthabenden Beamten, er solle ihm folgendes ausrichten: Colby Sommers unterstützt das EYE-Team. Er weiß etwas über den Mord an Howard Fepple; er war außerdem in den Einbruch in Hyde Park verwickelt, wo euer Spurensicherungsteam am Mittwoch war. Der Beamte versprach, meine Nachricht weiterzugeben.
Als ich den Computer einschaltete, hatte ich völlig irrationalerweise das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein, weil Morrell meine E-Mail nicht beantwortet hatte. Natürlich war es in Kabul mitten in der Nacht. Und wer wußte schon, wo er sich aufhielt. Wenn er bereits im Hinterland war, hatte er keine Gelegenheit, E-Mails zu verschicken. Lotty an einem Ort, an den ich ihr nicht folgen konnte, Morrell am anderen Ende der Welt. Ich fühlte mich furchtbar allein und hatte Mitleid mit mir selbst.
Immerhin war das Fax mit Anna Freuds Artikel über die sechs Kleinkinder in Theresienstadt eingetroffen. Ich wandte mich entschlossen dem Text zu, um mich nicht weiter in meinem Selbstmitleid zu suhlen.
Der Artikel war lang, aber ich las ihn mit voller Konzentration. Trotz des nüchternen Tonfalls war das Elend der Kinder deutlich zu spüren - sie hatten alles verloren, von der Liebe der Eltern bis zu ihrer Muttersprache, und mußten sich im Konzentrationslager allein durchschlagen. Irgendwie hatte sie das als Gruppe von Kleinkindern zusammengeführt, die einander unterstützten und füreinander
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