Ihr wahrer Name
Ulf ist Deutsch für Wolf, aber das ist nicht mein Name. Wer hat den Kindern gesagt, daß sie mich so nennen sollen?« »Niemand«, antwortete ich ihm kurz angebunden, denn allmählich verlor ich die Geduld. »Die Kinder haben gespielt, wie Kinder es eben machen. Niemand hier weiß, daß Ulf auf deutsch großer böser Wolf heißt.«
»Das stimmt auch nicht.« Ich hatte völlig vergessen, daß Lotty hinter mir stand. »Es ist einer dieser althochdeutschen Namen und heißt Wolfsführer oder so etwas Ahnliches.« Dann fügte sie, an Paul gewandt, etwas auf deutsch hinzu.
Paul wollte auf deutsch antworten, schob dann aber die Unterlippe vor wie Calia, wenn sie trotzig ist. »Ich weigere mich, die Sprache meiner Unterdrücker zu sprechen. Sind Sie Deutsche? Haben Sie den Mann gekannt, der sich als mein Vater ausgegeben hat?« Lotty seufzte. »Ich bin Amerikanerin. Aber ich spreche Deutsch.«
Das schien Paul aufzubauen; er strahlte Lotty an. »Aber Sie sind mit Max und Carl befreundet. Dann war es also richtig, daß ich hierhergekommen bin. Wenn Sie meine Familie kennen, kannten Sie dann auch Sofie Radbuka?«
Bei der Frage starrte Carl ihn an. »Woher zum Teufel kennen Sie diesen Namen? Lotty, was weißt du über die Sache? Hast du den Mann hierhergebracht, damit er Max und mich verhöhnt?« »Ich?« sagte Lotty. »Ich... muß mich setzen.«
Sie war kreidebleich geworden. Es gelang mir gerade noch, sie aufzufangen, als ihre Knie nachgaben.
17
Spuren der Vergangenheit
Morrell half mir, Lotty in den Wintergarten zu bringen, wo wir sie auf ein Korbsofa setzten. Sie hatte nicht richtig das Bewußtsein verloren, war aber immer noch blaß und froh, sich hinlegen zu können. Max, der ein besorgtes Gesicht machte, deckte Lotty zu. Er war es gewöhnt, in Krisensituationen ruhig zu bleiben, und bat Don, ein Fläschchen Ammoniak von der Haushälterin zu holen. Als ich eine Serviette damit getränkt und mit ihr unter Lottys Nase herumgewedelt hatte, nahm ihr Gesicht wieder ein bißchen Farbe an. Sie richtete sich auf und drängte Max, zu seinen Gästen zurückzukehren. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß es ihr tatsächlich besserging, gesellte er sich wieder zu den anderen.
»Ganz schön melodramatisch, der heutige Abend«, sagte Lotty und versuchte erfolglos, sich so zu geben wie immer. »So etwas ist mir ja im Leben noch nicht passiert. Wer hat diesen Mann hierhergebracht? Doch hoffentlich nicht du, oder, Vic?«
»Er ist von ganz allein gekommen«, sagte ich. »Er windet sich überall rein wie ein Aal. Übrigens auch in die Klinik, wo ihm irgendein Idiot in der Verwaltung die Privatadresse von Max gegeben hat.«
Morrell hustete warnend und deutete mit dem Kopf auf die Schatten auf der anderen Seite des Raums. Dort stand Paul Radbuka, knapp außerhalb des Lichtkegels, den eine Bogenlampe warf. Jetzt trat er hastig zu Lotty.
»Geht es Ihnen wieder besser? Sind Sie in der Lage zu reden? Ich glaube, Sie kennen Sofie Radbuka. Wer ist sie? Wie kann ich sie finden? Sie muß irgendwie mit mir verwandt sein.« »Aber die Person, nach der Sie suchen, heißt doch, soviel ich weiß, Miriam.« Trotz ihrer zitternden Hände gelang Lotty ihre »Prinzessin von Osterreich«-Attitüde.
»Meine Miriam, ja, ich sehne mich danach, sie wiederzufinden. Aber Sofie Radbuka, diesen Namen hat man mir auch verführerisch unter die Nase gehalten, um mich glauben zu machen, daß irgendwo noch einer meiner Verwandten am Leben ist. Doch jetzt hat man mir die Verlockung einfach weggezogen. Ich glaube, daß Sie sie kennen, denn warum sonst wären Sie in Ohnmacht gefallen, als Sie ihren Namen hörten?«
Die Antwort auf diese Frage hätte ich selbst gern erfahren, aber nicht in Gegenwart dieses Mannes. Lotty hob die Augenbrauen. »Was ich tue, geht Sie nichts an. Soweit ich das in dem von Ihnen verursachten Tumult im Flur verstanden habe, sind Sie hierhergekommen, um zu sehen, ob Mr. Loewenthal oder Mr. Tisov mit Ihnen verwandt ist. Jetzt, wo es Ihnen gelungen ist, ein so großes Chaos anzuzetteln, könnten Sie vielleicht so gut sein, Ms. Warshawski Ihre Adresse zu geben und uns in Frieden zu lassen.«
Radbuka schob wieder die Unterlippe vor, doch bevor er widersprechen konnte, mischte sich Morrell ein. »Ich werde Mr. Radbuka jetzt in das Arbeitszimmer von Max begleiten, was V.l. schon vor einer Stunde machen wollte. Vielleicht gesellen sich Max und Carl später zu ihm, falls sie Zeit haben sollten.«
Don hatte bis dahin schweigend im
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