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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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mit dem Taxi da. Ich kann nicht fahren. Ich habe kein Zuhause, zu dem ich zurückkehren könnte«, rief Radbuka in kindlicher Verwirrung aus. »Warum heißt du mich nicht willkommen?«
    Inzwischen waren immer mehr Leute mit dem Essen fertig und versammelten sich auf dem Weg zum vorderen Teil des Hauses im Flur. Eine Auseinandersetzung am Fuß der Treppe war genau das richtige, um die Aufmerksamkeit aller zu erregen. Die Menge wurde immer größer und rückte dichter an Max heran.
    Ich ergriff noch einmal Pauls Arm. »Sie sind hier durchaus willkommen, aber nicht, wenn Sie während eines Festes auf dem Flur mit uns streiten. Rhea würde nicht wollen, daß Sie sich so aufregen, oder? Setzen wir uns doch in ein Zimmer, wo uns niemand stört.« »Erst, wenn ich den Musikerfreund von Max kennengelernt habe«, sagte er. »Erst, wenn ich aus seinem Mund gehört habe, daß er mich kennt und sich an die Mutter erinnert, die in meinem Beisein bei lebendigem Leib in eine Kalkgrube gestoßen wurde.«
    Nun erschien Lotty in der Tür zwischen Wohnzimmer und Flur. Sie drängte sich zu mir durch. »Was ist hier los, Victoria?«
    »Das ist der Mann, der sich Radbuka nennt«, murmelte ich ihr zu. »Leider hat er mit unglaublicher Geschwindigkeit die Adresse hier rausgefunden.«
    Hinter uns hörte ich eine Frau Lottys Frage wiederholen, und ich hörte auch die Antwort eines anderen Gastes: »Ich weiß es nicht so genau, aber ich glaube, der Mann behauptet, daß Carl Tisov sein Vater ist oder so ähnlich.«
    Auch Radbuka hörte sie. »Carl Tisov? Ist das der Name des Musikers? Ist er hier?« Lottys Augen weiteten sich vor Bestürzung. Ich wirbelte herum, um dem Gerücht Einhalt zu gebieten, bevor es sich ausbreitete, aber die Menge drängte noch dichter heran, und die Information ging von Mund zu Mund. Es trat erst Schweigen ein, als Carl am hinteren Ende des Flurs auftauchte.
    »Was ist denn los?« fragte er fröhlich. »Veranstaltest du eine Gebetsstunde hier draußen, Loewenthal?«
    »Ist das Carl?« Ein Strahlen ging über Pauls Gesicht. »Bist du mein Cousin? Ach, Carl, hier bin ich, dein lange verloren geglaubter Verwandter. Vielleicht sind wir sogar Brüder? Würden Sie bitte aus dem Weg gehen? Ich muß zu ihm!«
    »Das ist ja schrecklich«, murmelte Lotty mir ins Ohr. »Wie hat er hierhergefunden? Wie kommt er auf die Idee, daß Carl mit ihm verwandt ist?«
    Die Gäste standen wie angewurzelt da, peinlich berührt über diesen erwachsenen Mann, der sich so bedingungslos seinen Emotionen hingab. Als Paul versuchte, sich einen Weg durch die Menschen zu bahnen, tauchte Calia plötzlich laut kreischend am Ende des Flurs auf. Die anderen Kinder folgten ihr genauso laut schreiend die Treppe herunter. Lindsey rannte hinter ihnen her und versuchte, wieder Ordnung herzustellen - offenbar waren die lieben Kleinen bei einem Spiel außer Rand und Band geraten.
    Calia merkte erst auf dem untersten Treppenabsatz, wie groß ihr Publikum war. Dort stieß sie ein lautes Lachen aus und deutete auf Paul. »Schaut, da ist der große böse Wolf, der frißt meinen Opa. Und uns fängt er als nächste.«
    Die anderen Kinder nahmen den Satz auf, deuteten auf Paul und kreischten ebenfalls: »Er ist ein Wolf, er ist ein Wolf, er ist der große böse Wolf!«
    Als Paul bewußt wurde, daß er das Ziel ihres Spotts war, begann er zu zittern. Ich hatte Angst, daß er gleich wieder zu weinen anfangen würde.
    Agnes Loewenthal bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, marschierte zum untersten Treppenabsatz hinauf und hob ihre Tochter hoch.
    »Jetzt ist aber genug, junge Dame. Ihr Kinder hättet doch zusammen mit Lindsey im Spielzimmer bleiben sollen: Ich bin höchst verärgert über dieses Verhalten. Es ist ohnehin längst Zeit für dein Bad und fürs Bett - für heute hast du genug Aufregendes erlebt.«
    Calia begann zu heulen, aber Agnes ließ sich nicht erweichen und ging mit ihr hinauf. Die anderen Kinder wurden sofort still. Sie schlichen auf Zehenspitzen vor Lindsey hinauf, die einen hochroten Kopf hatte.
    Der Zwischenfall mit den Kindern hatte die Gäste abgelenkt. Sie ließen sich von Michael Loewenthal in den vorderen Raum dirigieren, wo alles für den Kaffee gerichtet war. Ich sah Mor-rell, der in den Flur getreten war, während ich mich auf Calia konzentriert hatte, mit Max und Don reden.
    Radbuka hielt sich in seiner Verzweiflung die Hände vors Gesicht. »Warum behandeln mich alle so? Der Wolf, der große böse Wolf, das war mein Ziehvater.

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