Ihr Wille Geschehe: Mitchell& Markbys Zehnter Fall
perverse Befriedigung über das Eintreffen ihrer Prophezeiung zu empfinden. Laut sagte sie:
»Vielleicht hat die Hitze Mrs Smeaton nichts ausgemacht? Sie war immerhin schon in Afrika gewesen, nicht wahr?« Janine sah Meredith zweifelnd an.
»Das sagen die Leute, ja. Mrs Smeaton selbst hat nie darüber gesprochen. Sie hat nie über irgendetwas mit mir geredet.« Mit diesen Worten sah sie Wynne Carter an.
»Nur ganz am Ende, nicht lange vor ihrem Unfall, da hat sie etwas wirklich Merkwürdiges gesagt.« Janine schien überhaupt nicht zu bemerken, dass die anderen drei wie gebannt an ihren Lippen hingen.
»Ja?«, hauchte Wynne atemlos.
»Es war, als ihr Pony starb. Sie war sehr bedrückt deswegen. Sie liebte ihre Tiere. Tiere sind treu und aufrichtig, sagte sie immer. Nicht wie die Menschen. Und dann zitierte sie irgendwelche Dichter und Schriftsteller. Ich erinnere mich nur an eine Zeile.« Janine atmete tief durch und rezitierte:
»Und allein der Mensch ist schändlich!«
»Das ist aus einer Hymne«, sagte Meredith.
»Ich hielt es für ein wenig stark«, fuhr Janine in normalem Tonfall fort.
»Und das habe ich ihr auch gesagt. Eine Hymne, sagen Sie? Nicht gerade aufmunternd, finde ich. Aber ich habe selbst ein paar richtig schändliche Mistkerle getroffen.«
»Und was hat Mrs Smeaton gesagt?«, fragte Alan.
»Oh«, sagte Janine.
»Sie sagte: ›Menschen können unendlich grausam zueinander sein, Janine. Ich weiß es aus eigener Erfahrung, glauben Sie mir. Das ist der Grund, warum ich ihnen den Rücken zugekehrt habe.‹«
»Was glauben Sie, wen Olivia gemeint hat?«, fragte Meredith, als sie in die Halle zurückkehrten.
»Vielleicht Lawrence Smeaton?«
»Kann schon sein, wer weiß? Vielleicht hat sie auch Marcus gemeint, ihren verstorbenen Mann. Möchten Sie auch das Obergeschoss besichtigen?«
»Es wäre keine schlechte Idee, nicht wahr?« Sie stiegen erneut die Treppe hinauf und an der gebrochenen Strebe vorbei. Die anderen blieben stehen, und Meredith ging alleine weiter. Der Treppenabsatz war zur Halle hin offen. Man konnte hinuntersehen und in die Gänge, die nach links und rechts führten. Meredith blieb stehen und versuchte sich vorzustellen, wie Olivia Smeaton hier gestanden und Janine unauffällig bei der Arbeit beobachtet hatte. Sie wusste nicht, wie Olivia ausgesehen hatte; das einzige Bild, das vor ihrem geistigen Auge stand, war das der uniformierten Fahrerin aus dem Zweiten Weltkrieg. Es passte nicht zur Umgebung, und Meredith gab den Gedanken auf, die Vergangenheit heraufzubeschwören. Stattdessen nahm sie den nach links führenden Gang. Er war schlecht beleuchtet, schmal und roch muffig. Auf dem Boden lag ein türkischer Läufer, wie diese Art von Teppich früher genannt worden war. Er sah Stück für Stück genauso alt aus wie der Läufer auf der Treppe und war stellenweise ganz abgetreten. Vermutlich war es reines Glück, dass Olivia nicht schon zu anderen Gelegenheiten mit ihren alten Pantoffeln gestürzt war. Vielleicht war sie es ja. Möglicherweise wusste Janine etwas darüber. Andererseits – vielleicht auch nicht. Sie war nicht ständig hier gewesen, und alte Menschen neigten manchmal dazu, wie Meredith wusste, Stürze zu verheimlichen. Ein Sturz bedeutete nämlich, dass die gefallene Person nicht länger gefahrlos alleine leben konnte. Ein Sturz bedeutete unter Umständen das Pflegeheim. Olivia hätte die Vorstellung zutiefst verabscheut, in ein Pflegeheim zu ziehen, umgeben von Fremden und gezwungen, sich an einen von außen oktroyierten Zeitplan zu halten. Andererseits war dieses Haus für eine alte Dame wie Olivia riesig. Das äußere Erscheinungsbild war trügerisch gewesen. Man hätte ohne Schwierigkeiten eine Pension in Rookery House unterbringen können. Meredith erkundete die Räume rechts und links. Hinter den ersten beiden Türen mit alten Messingklinken lagen mittelgroße Schlafzimmer. Die Fenster waren mit Läden versperrt, und im Dämmerlicht erkannte Meredith blasse rechteckige Flecken an den Wänden, wo früher einmal Kommoden und Schränke gestanden hatten. Der Fußboden war irgendwann in der Vergangenheit, als es modern gewesen war, mit Linoleum ausgelegt worden. Das Linoleum war an zahlreichen Stellen gerissen oder gebröckelt. Auch das war eine gefährliche Falle für eine unsichere alte Person – nein, eine Falle für jeden. Vielleicht hatte ein Teppich auf dem Boden gelegen, der bei der Versteigerung des Haushalts entfernt worden war. Es war eine wahre
Weitere Kostenlose Bücher