Ihre Beiden Väter
einmal mehr an ihn erinnern.
Auf diese Weise wären alle besser dran, das wusste er. Sein Herz protestierte jedoch gegen diesen zweifachen Verlust. Er fasste einen Entschluss, stand auf und setzte seinen Spaziergang fort. Damit er Srikkanth die Situation so neutral wie möglich erklären konnte, versuchte er, seinen Ärger und Schmerz abzubauen. Er wollte keine riesige Szene daraus machen. Wollte nicht, dass sich Srikkanth schuldig fühlte. Allerdings war das eine Grenze, die er nicht überschreiten konnte. Sich selbst dabei treu bleiben, konnte er nicht.
Als Jaime nach Hause kam, ließ er sich selbst hinein und blickte sich nach Srikkanth um. Doch das Wohnzimmer und die Küche waren leer, nur die kleine Lampe neben der Couch spendete etwas Licht. Sein Herz zog sich zusammen, als er die Küche betrat und den Teller sah, den Srikkanth offensichtlich für ihn hingestellt hatte. Er machte sich sein Abendessen warm, aß in völliger Stille und fühlte, mit jedem verstreichenden Moment, wie der Abgrund immer tiefer wurde. Dass Srikkanth in der Wohnung war, wusste Jaime. Sein Auto stand auf dem Parkplatz. Ab und zu hörte Jaime Schritte von oben. Doch er ließ ihn nicht wissen, dass er zu Hause war. Er konnte nicht. Wenn er es täte, würde Srikkanth runter kommen und Jaime müsste alles erklären. Ihm war klar, dass sie reden mussten, aber nicht jetzt. Nicht, wenn sein Herz wegen seiner Entscheidung immer noch schmerzte.
Jaime aß zu Ende, atmete tief ein, ging in sein Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
Eine Stunde später hörte er, wie Srikkanth nach unten kam und leise seinen Namen rief. Jaime wollte die Tür öffnen, zu ihm gehen. Doch dann würde eins von zwei Dingen passieren. Entweder Srikkanth würde nach ihm greifen und Jaimes ganze Entschlossenheit zum Einsturz bringen. Damit wären sie wieder in derselben Situation, die zu ihrem Streit vorhin geführt hatte. Oder Srikkanth würde versuchen, ihre Diskussion fortzusetzen und Jaime würde wieder seine Beherrschung verlieren. Keine der Möglichkeiten wäre akzeptabel. Also blieb er, wo er war, schaltete sein Licht aus und gab vor zu schlafen, auch wenn es noch nicht mal neun Uhr war.
Hilflos starrte Srikkanth die geschlossene Tür an. Er konnte fühlen, wie der Abgrund zwischen Jaime und ihm immer größer wurde, überqueren konnte er ihn allerdings nicht alleine. Er brauchte Jaime, um ihm auf halbem Weg entgegen zu kommen. Die geschlossene Tür lud ihn nicht gerade zu einem Besuch ein. Er erinnerte sich an einen Rat seiner Mutter, den sie seiner Schwester am Vorabend ihrer Hochzeit gegeben hatte, nie ins Bett zu gehen, wenn sie wütend auf ihren Ehemann ist. Srikkanth rief noch einmal Jaimes Namen, versuchte, die Tür zu öffnen.
Sie war verschlossen.
Niedergeschlagen lief er zurück in sein Zimmer. In seiner Lage war er sich nicht sicher, ob er versuchen sollte, die Angelegenheit noch weiter zu forcieren, als er es ohnehin schon getan hatte. Von Jaimes Sicht aus gesehen, war Srikkanth schuld an dem Durcheinander, das war ihm klar. Aber auch noch so viele Argumente, konnten seine Ängste nicht vertreiben. Jemand hatte sein Baby bedroht, seine Familie. Das konnte er nicht einfach so vergessen, nur weil seine Art, sie alle zu beschützen, Jaime nicht gefiel. Nur ein Anruf hatte ausgereicht, und die Polizei stand vor seiner Tür. Zwar hatten sie nichts gefunden und waren wieder gegangen. Das hieß jedoch nicht, dass sie nicht wieder auftauchen könnten, falls sie noch mal so einen Anruf bekämen. Auch wenn sie dann genauso wenig finden würden wie jetzt, das Trauma, erneut mit dem Jugendamt fertig werden zu müssen, würde ihn zermürben und zerreißen.
Sein leeres Bett verhöhnte ihn mit seinem Versagen. Das Laken war kalt, nachdem er neben Jaimes Wärme geschlafen hatte. Seine Ängste wurden in dem abschreckenden Licht von Jaimes Abwesenheit größer. Vielleicht brauchte es gar keinen äußeren Einfluss, um seine Familie zu zerstören. Falls er keinen Weg fand, die Dinge mit Jaime zu klären, könnte sie sehr wohl von innen zerstört werden.
Eine Stunde warf er sich hin und her, unfähig, Ruhe zu finden. Schließlich gab er auf und ging in Sophies Zimmer, hoffend, ihre Anwesenheit würde ihn beruhigen. Sie war genauso ruhelos wie er selbst, so schien es, da sie sich ebenfalls hin und her warf. Er holte sie aus dem Bett und wiegte sie sanft. Erinnerungen an all die Nächte, in denen Jaime ihm zur Hilfe gekommen war,
Weitere Kostenlose Bücher