Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
reuevoll von seinen »Fehlern« und versprach eine baldige Volksbefragung über die Zukunft des Landes. Zwar war nicht ganz klar, was er damit meinte, aber dennoch klang es für die Massen auf der Straße wie eine hoffnungsvolle Botschaft. Der Rücktritt des Diktators wurde als Sieg gefeiert. Der Preis dafür war hoch gewesen. Die meisten Demonstrationsteilnehmer kannten irgendjemanden, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, misshandelt oder umgebracht worden war. Jetzt jedoch schien eine Veränderung möglich.
Als Aung San Suu Kyi die Abschiedsrede Ne Wins im staatlichen Fernsehkanal verfolgte, war es so, als sei ihr plötzlich etwas klargeworden. »Sie war völlig elektrifiziert, genauso wie der Rest des Landes«, schrieb Michael Aris. »Zum ersten Mal sollte das Volk eine Chance bekommen, die Kontrolle über sein eigenes Schicksal zu übernehmen. Ich glaube, dass sich Aung San Suu Kyi in diesem Augenblick dazu entschieden hatte, etwas zu unternehmen.«
Die Hoffnung auf einen raschen Übergang zu einer zivilen Regierung wurde jedoch fast unmittelbar danach zerstört. Nach Ne Wins Abgang wurde General Sein Lwin zum neuen Premierminister ernannt. Er war derjenige, der im Frühjahr das Blutbad unter den Studenten angerichtet hatte und seitdem bei der Bevölkerung unter dem Namen »Schlächter von Rangun« geführt wurde. Kaum ein Politiker also, dem das Volk vertrauen würde.
Sein Lwin verkündete für ganz Burma den Ausnahmezustand, die Menschen auf der Straße tobten. Am 8. August um 8.08 Uhr begann die größte Volkskundgebung in der Geschichte Burmas. Peter Conrad, ein in Bangkok lebender buddhistischer Theologe, war genau zu diesem Zeitpunkt in Rangun. Seine Schilderungen stammen aus Bertil Lintners Buch
Burma in Revolt
:
»Ich stand genau um neun Uhr morgens auf dem Balkon meines Hotelzimmers. Ein paar maskierte junge Leute kamen mit Höchstgeschwindigkeit auf Fahrrädern die fast menschenleere Straße herunter. Sie riefen irgendetwas auf Burmesisch. Vermutlich riefen sie, dass die Demonstranten auf dem Weg seien. Ein paar Minuten später kamen einige Studenten und bildeten einen menschlichen Schutzwall um die Soldaten, die auf der Straße postiert waren. Jemand sagte, sie seien gekommen, um die Soldaten vor den Angriffen der sich nähernden Demonstranten zu beschützen. Dann sah ich sie in einer massiven Kolonne über die Eisenbahnbrücke an der Sule Pagoda Road heranströmen. Sie waren mit ihren Plakaten und Fahnen auf dem Weg in die Innenstadt. Es waren Tausende, die die Faust zum Himmel reckten und Parolen gegen die Regierung schrien.«
Tausende war sicher stark untertrieben. Tatsächlich waren es Millionen Menschen, die an diesem Tag die Straßen Burmas entlangmarschierten. In mindestens 200 der 314 burmesischen »townships« wurden große Demonstrationen durchgeführt. Allein in Taungyi, der Hauptstadt des in den Bergen gelegenen Shan-Staates im Osten Burmas, demonstrierten über 100 000 Menschen.
Sein Lwin ließ sie bis zum späten Abend des 8. August gewähren. Dann schickte er das Militär. Im Laufe der Nacht und der folgenden fünf oder sechs Tage wurden mehrere Tausend Menschen getötet und noch viel mehr ins Gefängnis geworfen. Augenzeugen haben die brutalen Tötungsaktionen geschildert. Auf meiner ersten Burma-Reise Mitte der 1990er Jahre begegnete ich einem Touristenführer, der 1988 Student gewesen war. Er hatte sich in den vordersten Reihen aufgehalten, als das Militär in Rangun das Feuer eröffnete. Ein Mädchen direkt hinter ihm war von einer Kugel in den Hals getroffen worden und starb an Ort und Stelle. Sein bester Freund, der neben ihm lief, hatte einen Schuss ins Bein abbekommen und musste über die schmutzigen Straßen geschleppt werden, um dem Durcheinander zu entkommen. Er selbst war verhaftet und in einem Massenprozess zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. »Ich hasse dieses Regime«, sagte er und blickte sich nervös um, weil er fürchtete, dass einer seiner Landsleute ihn hören und bei den Behörden anzeigen könnte.
In diesem aufgeheizten politischen Klima entschied sich Aung San Suu Kyi öffentlich hervorzutreten. Zusammen mit Tin Oo und ein paar anderen Oppositionellen schrieb sie einen Brief an die Junta, in dem sie eine Übergangslösung vorschlug, um die verfahrene politische Lage zu lösen. Ein von der Junta unabhängiges Komitee sollte die Regierungsgeschäfte übernehmen und das Land in Richtung Demokratie steuern. Im Prinzip thematisierte dieser Brief die
Weitere Kostenlose Bücher