Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
in andächtig lauschende Zuhörer verwandelte. Danach erläuterte Aung San Suu Kyi, warum sie beschlossen hatte, sich in der Demokratiebewegung zu engagieren.
»Manche Menschen behaupten, dass ich nichts über burmesische Politik weiß, weil ich große Teile meines Lebens im Ausland zugebracht habe und mit einem Ausländer verheiratet bin […] Doch das Problem ist eher, dass ich zu viel weiß. Meine Familie weiß besser als viele andere, wie kompliziert und riskant burmesische Politik sein kann und wie mein Vater in diesem Spiel geopfert wurde.«
Sie erwähnte die Zweifel ihres Vaters, nach der Souveränität des Landes tatsächlich die Rolle des Premierministers übernehmen zu können. Er hatte geahnt, dass der weitere Weg nach der Befreiung kompliziert werden würde und dass diejenigen, die sich an die Spitze der neuen Nation stellten, große persönliche Opfer würden erbringen müssen. Er hatte davon gesprochen, sich zurückzuziehen und stattdessen lieber Schriftsteller zu werden.
»Die Zweifel meines Vaters hatten dazu geführt, dass ich mich von dem politischen Spiel fernhalten wollte. Manche fragen sich vielleicht, wieso ich mich jetzt für diese Bewegung engagiere. Als Tochter meines Vaters kann ich mich nicht länger passiv gegenüber den Dingen verhalten, die um mich herum geschehen. Diese nationale Krise ist nichts anderes als ein zweiter Kampf für die Souveränität.«
Diese letzte Formulierung war für den Auftrag, den Aung San Suu Kyi daraufhin übernahm, von zentraler Bedeutung. Sie würde die Arbeit ihres Vaters fortsetzen. Die Souveränität war den Burmesen 1962 durch den Militärputsch und die darauffolgende Tyrannei genommen worden. Jetzt sprach sie sich für den Übergang zu einem Mehrparteiensystem mit demokratischen Wahlen aus. Gleichwohl wurde klar, dass sie sich in einem Punkt radikal von ihrem Vater unterschied. Aung San hatte während des Befreiungskampfes niemals vor der Anwendung gewaltsamer Methoden zurückgeschreckt. Er hatte sogar aktiv dafür plädiert, dass sich die jungen Nationalisten in den 1930er Jahren bewaffnen sollten. Aung San Suu Kyi hingegen war der Ansicht, dass die neue Demokratiebewegung gewaltfrei sein müsse. Gewalttätige Proteste würden der Junta nur das Argument liefern, mit denselben Mitteln zu antworten. Trotz ihrer pazifistischen Grundüberzeugung, die tief im Buddhismus und der Denkweise Mahatma Gandhis verwurzelt ist, betonte Suu Kyi, dass die Armee in einem demokratischen Burma gleichwohl eine Funktion haben müsse.
»Ich will keine Kluft zwischen der von meinem Vater gegründeten Armee und den Menschen, die ihn tief und innig geliebt haben. Von diesem Rednerpult möchte ich die Offiziere in der Armee demütig darum bitten, das Mitgefühl und die Sympathie zu erwidern.«
Michael Aris und die Söhne Alexander und Kim standen auf dem Podium hinter Suu Kyi. Nyo Ohn Myint, einer der jungen Aktivisten in der Demokratiebewegung, berichtete, dass Michael Aris zwar stolz, aber auch voller Zweifel war. »Sein Gesichtsausdruck sagte ungefähr Folgendes: Jetzt werde ich meine Frau und meine Familie und mein Privatleben verlieren.« Auf dem Rückweg von der Veranstaltung fuhr Nyo Ohn Myint im selben Wagen wie Michael Aris. Aung San Suu Kyi hatte entschieden, dass sie und ihr Mann verschiedene Fahrzeuge benutzen sollten, damit er im Falle eines gegen sie gerichteten Attentats nicht in Gefahr geriet.
»Alle im Auto redeten wild durcheinander«, erzählte Nyo Ohn Myint. »Nur Michael Aris saß schweigend da, blickte aus dem Fenster und war tief in Gedanken versunken.«
Eine andere Person, die Aung San Suu Kyi an diesem Tage zuhörte, war die 20-jährige Khin. Sie war Studentin an der Universität und hatte seit dem Frühjahr an den Demonstrationen teilgenommen. Dabei hatte sie auch die Gewalt der Soldaten erlebt, und viele ihrer Freunde waren verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden.
»Als ich Aung San Suu Kyis Rede hörte, liefen mir Tränen über die Wangen«, erzählte sie später, nachdem sie gezwungen worden war, aus dem Land zu fliehen. »Ich weinte. Ich wusste sofort, dass sie diejenige war, nach der wir suchten. Sie konnte die Demokratiebewegung anführen.«
Die Wochen nach Aung San Suu Kyis Rede waren von Tumulten gekennzeichnet. Nach den Massakern im August konnten die Menschenmassen nicht länger kontrolliert werden. Die Studentengruppen, die die Demonstrationen angeführt hatten, reichten kaum aus, um gewaltbereite Elemente fortzujagen.
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