Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
Shwedagon-Pagode mit ihrer fast 70 Meter hohen und komplett vergoldeten
Stupa
, ist einer der heiligsten Orte des Buddhismus. Für die Burmesen galt die Pagode lange als Symbol für den Kampf gegen die britische Kolonialmacht. Außerdem hielt Aung San hier 1946, als Burma an der Schwelle zur Unabhängigkeit stand, eine seiner wichtigsten politischen Reden.
Die Angaben über die Anzahl der Menschen, die kamen, um ihr zuzuhören, variieren stark, aber sehr wahrscheinlich waren es über eine halbe Million. Aus dem ganzen Einzugsbereich Ranguns strömten die Menschen herbei. Mehrere Tausend Zuhörer hatten sich schon am Abend zuvor eingefunden und vor der Pagode übernachtet, während andere früh am Morgen aufgestanden und viele Kilometer gelaufen waren, um rechtzeitig einzutreffen.
Auch der Propagandaapparat der Junta ruhte nicht. Sie hatten begriffen, dass sie einer ungewöhnlichen Bedrohung gegenüberstanden. Ein Kleinlastwagen fuhr umher und verteilte große Stapel mit Flugblättern. Als die Zuschauer die Papierzettel aufhoben, konnten sie hässliche Verunglimpfungen über Aung San Suu Kyi und ihren Mann lesen. »Fahr zur Hölle, du verfluchte Ausländerin«, war auf einem zu lesen, »Völkermordsprostituierte« auf einem anderen. Einige Zeichnungen auf den Flugblättern waren geradezu obszön.
Aung San Suu Kyi verspätete sich um einige Minuten. Wie üblich trug sie traditionelle burmesische Kleidung; eine weiße Bluse mit bis zu den Ellbogen aufgerollten Ärmeln, einen farbenfrohen burmesischen Longyi und eine weiße Blume im Haar. Die große Schar ihrer Anhänger hatte von Gerüchten gehört, dass die Junta sie ermorden wollte. Ein Dutzend junge Frauen in exakt der gleichen Kleidung umgab Suu Kyi, so dass sie in der Menge nur schwer auszumachen war.
Suu Kyi war vollkommen ruhig und überzeugt davon, dass ihre Stimme für das große Publikum ausreichen sollte. Allerdings wurde sie etwas nervös, als es kaum möglich war, durch die Menschenmasse hindurchzugelangen. Es war ihr klar, dass ihr Auftritt erst mit großer Verspätung würde stattfinden können. Doch schließlich konnte sie das provisorische Podium vor der Pagode erklimmen. Die Veranstalter hatten hinter ihr ein großes Bild von Aung San befestigt und eine Fahne der Befreiungsbewegung aus den 1940er Jahren aufgestellt. Niemand sollte die Symbolik übersehen.
Die zahlreichen Menschen sowie die armselige Lautsprecheranlage führten dazu, dass die meisten nicht hörten, was Aung San Suu Kyi sagte. Aber Aung Sans Tochter war gekommen, um sie im Kampf gegen die Junta zu unterstützen, und das allein reichte. Dieser Auftritt war genau die Unterstützung, die sie brauchten. In all der Dunkelheit, durch die das burmesische Volk seit Eskalation der militärischen Gewalt gegangen war, wirkte sie wie ein leuchtender Stern. »Die Stimmung war so gut und die Erwartungen so groß, dass sie genauso gut ihre Wäschereirechnung hätte vorlesen können, und dennoch wären ihre Worte mit stürmischem Applaus quittiert worden«, schreibt Justin Wintle in seinem Buch
Perfect Hostage
.
»Vor ihrer Rede an der Shwedagon hatten wir uns kein Bild von ihr machen können«, sagt Maung, der später ein leitendes Mitglied in der Jugendorganisation der Demokratiebewegung wurde. »Viele von uns waren sehr skeptisch. Sie hatte ihr ganzes Leben im Ausland verbracht. Was wusste sie über unsere Probleme? Konnte sie überhaupt Burmesisch sprechen? Aber sie überzeugte uns.«
Sie hielt ihre Rede auf fast perfektem Burmesisch. Viele von denen, die sich an ihren Vater erinnern konnten, waren erstaunt über die großen Ähnlichkeiten zwischen den beiden. Suu Kyi hatte dieselbe schlanke Figur und aufrechte Haltung, dieselbe Intelligenz, dieselben dunklen Augen und feinen Gesichtszüge wie ihr Vater. Außerdem sprach sie auf dieselbe Art wie er. Zwar war Aung San ein eher lautstarker und agitatorischer Redner gewesen, viele hatten ihn sogar als Streithammel bezeichnet, aber die beiden hatten dieselbe Art, ohne Umschweife zum Kern der Sache zu kommen, und benutzten dieselben kurzen Sätze und schlagfertigen Formulierungen.
Sie begann ihre Rede mit einer Lobeshymne auf die Studenten und Aktivisten, die an der Spitze der Demonstrationen gegangen waren, und bat um eine Schweigeminute für alle, die ihr Leben einer besseren Zukunft des Landes geopfert hatten. Es muss ein magischer Augenblick gewesen sein, als sich eine halbe Million Menschen von einer lautstarken und lebhaften Menschenmenge
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