Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
allerdings war nicht so leicht aus dem Weg zu räumen. Schnell wurde sie äußerst populär, sogar bei den Soldaten der Armee, und begab sich auf eine mehrere Monate dauernde Wahlkampfreise. Unermüdlich fuhr sie umher. In ganz Burma hielt sie politische Zusammenkünfte ab und traf sich mit Aktivisten der NLD . Überall erschienen Zehntausende von Menschen, um ihr zuzuhören, und der Partei gelang es in Rekordzeit, ein umfassendes Netz aus lokalen Parteibüros und Parteivereinigungen aufzubauen. Zum Jahreswechsel konnte man die schwindelerregende Zahl von drei Millionen Mitgliedern verzeichnen.
Reisen beanspruchen in Burma immer eine gewisse Zeit. Die Straßen befinden sich in einem erbärmlichen Zustand, und Heerscharen von Radfahrern, Ochsenkarren und Fußgängern verlangsamen das Tempo. Die Verkehrssituation wird außerdem dadurch erschwert, dass das Lenkrad bei den meisten Autos auf der rechten Seite angebracht ist, obwohl das Land bereits in den 1970er Jahren zum Rechtsverkehr überging. Für einen ungeübten Fahrer ist es daher lebensgefährlich, Überholmanöver durchzuführen, weil man den entgegenkommenden Verkehr nicht sieht.
Aung San Suu Kyi und ihre Begleiter mussten die Reise so planen, dass sie zu jeder Gelegenheit möglichst vielen Menschen begegneten und Mitglieder werben konnten. Die meisten dieser Zusammenkünfte wurden am Nachmittag oder frühen Abend abgehalten. Danach übernachteten Suu Kyi und ihre Reisegesellschaft in irgendeinem Gasthaus, um dann gegen vier Uhr morgens wieder aufzustehen und die Fahrt zum nächsten Ort fortzusetzen. »Ich war immer tief berührt von dem Augenblick, wenn die Welt ganz still und verletzbar daliegt und auf das Sonnenlicht und den neuen Tag wartet, die sie zu neuem Leben erwecken«, schrieb sie einige Jahre später.
Der Journalist und Autor Bertil Lintner, einer der weltweit führenden Experten, wenn es um die Beurteilung burmesischer Politik geht, betrachtet die Wahlkampagne der NLD als eine für die Junta weitaus gefährlichere Herausforderung als die Proteste des Jahres 1988. Obwohl die Junta die Zusammenkünfte störte und Aktivisten verhaftete, gelang es der Demokratiebewegung, den Widerstand in disziplinierte Bahnen zu lenken. Anstatt an chaotischen und oft gewalttätigen Demonstrationen durch die großen Städte teilzunehmen, versammelten sich die Menschen in aller Ruhe, um die politischen Forderungen anzuhören. Und auch wenn Militär und Polizei sie oft provozierten, verhielten sich die Menschen stets ruhig. Die Wahlkampfreise wurde zu einer Lehrstunde in Demokratie und zivilisiertem Widerstand.
Als ich meine erste Reise im Grenzgebiet zwischen Thailand und Burma unternahm, begegnete ich vielen politischen Aktivisten. Oft waren es junge Menschen, die alles auf einen politischen Wandel in Burma gesetzt, den Kampf jedoch verloren hatten und zur Flucht ins Ausland gezwungen worden waren. Nun verbrachten sie ihre Tage in pulsierenden burmesischen Exilgemeinden wie Mae Sot und Chiang Mai. Jeder einzelne, den ich traf, arbeitete für irgendeine Organisation, die sich um das Schicksal der politischen Gefangenen kümmerte, die Rechte der Frauen oder das kulturelle Erbe des Karen-Volks verteidigte oder Flüchtlinge auf beiden Seiten der Grenze medizinisch versorgte. Manchmal fragte ich, welche politische Ideologie sie vertraten, erhielt aber oft nur eine hochgezogene Augenbraue zur Antwort. »Welche politische Ideologie? Wir sind Demokraten.« Einen derartigen Standpunkt entdeckt man oft bei der politischen Opposition in einer Diktatur, in der keine Pressefreiheit existiert, politische Parteien – ungeachtet ihrer Ideologie – bekämpft werden und eine kleine Elite gottgleich regiert.
Auch das erste Parteiprogramm der NLD war von dieser breiten demokratischen Grundeinstellung geprägt. Es wurde von Aung San Suu Kyi und U Tin Oo im Herbst 1988 verfasst. Zwar hatte die SLORC allgemeine Wahlen versprochen und die Menschen aufgefordert, sich politisch zu organisieren, doch die Praxis sah anders aus. Außerdem hatte Burma keine funktionierende demokratische Verfassung, die den Wahlprozess hätte regulieren können. Alles geschah gemäß den Bedingungen der Junta.
In ihrem Parteiprogramm forderte die NLD die Wiederherstellung Burmas als föderale Union, den Respekt vor den Rechten der ethnischen Minderheiten und eine klare Machtverteilung innerhalb eines demokratischen Systems. Die ethnischen Minderheiten sollten sogar mehr Rechte erhalten, als in der Verfassung
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