Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
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In der ersten Hälfte der 1950er Jahre war die Situation eine völlig andere. Viele Briten hatten sich nach der Souveränität Burmas entschieden, im Land zu bleiben. Englische Unternehmen betrieben weiterhin Handel, und Premierminister U Nu war darauf bedacht, weitere ausländische Investoren ins Land zu holen. Auch die indische Bevölkerung lebte noch immer in intakten Verhältnissen. Während der Kolonialzeit hatten zeitweilig mehr Inder als Burmanen in der Hauptstadt gelebt.
Als Burma nun also erneut vor einer Grundsatzentscheidung stand, war Rangun eine multikulturelle Stadt, ein Umstand, von dem Aung San Suu Kyis Jugend stark geprägt wurde. Ihre Mutter verstand unter Nationalismus nicht, die Engländer »zu vertreiben« oder das Burmanische gegenüber einer der ethnischen Minderheiten hervorzuheben. Beim Nationalismus ging es ihr um das Recht, über das eigene Schicksal zu entscheiden und die eigene Kultur zu pflegen. Die Tatsache, dass auch andere Kulturen im Land vertreten waren, stellte keine Bedrohung dar, und es war weder wünschenswert noch möglich, diese Kulturen zu vertreiben.
Aufgrund von Khin Kyis weitverzweigtem und internationalem Netzwerk wurden viele der Gespräche in ihrem Haus auf Englisch geführt. Daher wünschte sie sich, dass ihre Kinder zweisprachig aufwuchsen. In dieser Hinsicht hatte sie dieselbe Einstellung wie Aung San. Schon als Junge hatte er gefordert, in der Schule Englisch zu lernen, da es kaum möglich war, eine Ausbildung abzuschließen und die gesellschaftliche Entwicklung zu beeinflussen, wenn man die Sprache der Kolonialmacht nicht beherrschte.
Als Aung San Suu Kyi das Schulalter erreichte, wurde sie zunächst in die Privatschule Saint Francis Convent geschickt, wo der Unterricht zweisprachig abgehalten wurde. Einige Jahre später wechselte sie zu der prestigeträchtigen Methodist English High School, MEHS, eine Schule für die gesellschaftliche Elite, die hohe Gebühren verlangte und im Zentrum von Rangun angesiedelt war. Die MEHS war eine der zahlreichen Schulen in Rangun, die von christlichen Religionsgemeinschaften geführt wurden. Saint Paul’s war ausschließlich für Jungen vorgesehen, während Saint Mary’s und Saint John’s Mädchenschulen waren. Die MEHS hingegen nahm Schüler beiden Geschlechts auf. Viele britische Kinder besuchten diese Schule, aber auch die sechs Kinder von General Ne Win. Burmanisch war ein obligatorisches Schulfach, aber ein Großteil des Unterrichts wurde auf Englisch durchgeführt.
»Alle wussten, wer Aung San Suu Kyi war. Als Tochter von Aung San konnte sie unmöglich anonym bleiben. Doch sie erhielt keinerlei Sonderbehandlung«, sagte Jenny Tun-Aung, die mit Suu Kyi dieselbe Klasse besuchte. »Trotzdem wurde zu dieser Zeit bereits deutlich, dass sie eigensinnig war und niemals nachgeben wollte. Wie in anderen Schulen wurden wir oft von den Jungen geärgert, doch jedes Mal, wenn sie sich mit Suu Kyi anlegten, wehrte sie sich und jagte ihnen nach bis hinein in die Herrentoilette.«
Ein ähnliches Bild zeichnet ihr Cousin Sein Win, der in den 1990er Jahren Premierminister in einer Exilregierung wurde. Diese war entstanden, nachdem die Junta die Übergabe der Macht an die vom Volk gewählten Politiker verweigert hatte. Sein Win ist ein Jahr älter als Aung San Suu Kyi; sein Vater, U Ba Win, wurde 1947 zusammen mit Aung San im Sekretariat ermordet.
»Die gemeinsame Erfahrung machte das Band zwischen unseren Familien ungewöhnlich stark«, sagte er, als ich im Frühjahr 2010 mit ihm sprach. »Wir wohnten nebeneinander und spielten als Kinder oft zusammen. Aung San Suu Kyi war ein ganz normales Mädchen, das gern mit seinen Freunden spielte, aber ein ungewöhnlich starkes Gespür für Fair Play hatte. Wenn irgendjemand versuchte, beim Baseball oder bei einem anderen Spiel zu schummeln, hat sie das immer sofort unterbunden.«
Clas Örjan Spång, der heute als Lehrer in Schweden arbeitet, ging in den 1950er Jahren ein Jahr lang mit Aung San Suu Kyi in dieselbe Klasse. Er lebte mit seiner Familie in Rangun; sein Vater war für das schwedische Untenehmen Ericsson tätig und in der burmesischen Hauptstadt stationiert. Clas Örjan erinnert sich noch gut an seine berühmte Klassenkameradin, nicht zuletzt aufgrund ihres Namens. Alle Kinder in der Klasse wurden von ihrer Lehrerin, Mrs. Brindley, mit englischen Namen angesprochen. Nicht aber Aung San Suu Kyi. In ihrem Fall wandte Mrs. Brindley den Namen ihres Vaters, Aung San, an. Nach ein
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