Ilium
befreien kannst?«
»Ich habe nicht den blassesten Schimmer, ob wir aus diesem Zeug herauskommen.« Mahnmut legte mit mentalen Befehlen virtuelle Schalter um, fuhr den Reaktor in den roten Bereich noch und aktivierte die Triebwerke. »Aber wir werden es probieren, und zwar in … achtzehn Sekunden. Halt dich gut fest, mein Freund.«
»Da meine Greifer, Manipulatoren und Flagellen weg sind«, sagte Orphu, »meinst du das vermutlich rhetorisch.«
»Halt dich mit deinen Zähnen fest! Sechs Sekunden.«
»Ich bin ein Moravec.« Orphu klang ein wenig indigniert. »Ich habe keine Zähne. Was wolltest du …«
Seine Stimme wurde abrupt vom Donnern aller Triebwerke, dem Dröhnen knirschender, nachgebender Schotts und einem gewaltigen, ächzenden Laut übertönt, als die Dark Lady sich mit aller Macht aus dem schleimigen Griff des Mars befreite.
18
Ilium
Diese Stadt – Ilium, Troja, die Stadt des Priamos, Pergamus – ist am schönsten bei Nacht.
Die Mauern, alle über dreißig Meter hoch, sind von Fackeln erhellt, von Kohlefeuern auf den Brustwehren beleuchtet und in den Widerschein der vielen hundert Lagerfeuer des trojanischen Heeres getaucht, das unten auf der Ebene kampiert. Troja ist eine Stadt der hohen Türme, und die meisten sind bis spät in die Nacht hinein erleuchtet; warmes Licht fällt aus Fenstern und Höfen, Terrassen und Balkone werden von Kerzen, Feuerstellen und weiteren Fackeln erwärmt. Die Straßen Iliums sind breit und sorgfältig gepflastert – ich habe einmal versucht, meine Messerklinge zwischen die Steine zu schieben, aber es ist mir nicht gelungen –, und die meisten werden vom Lichtschein aus offenen Türen, in Wandhalterungen steckenden Fackeln und den Lagerfeuern der abertausend nichttrojanischen Soldaten und ihrer Familien erhellt, die jetzt hier leben, allesamt Verbündete Iliums.
In Ilium sind selbst die Schatten lebendig. Junge Männer und Frauen der unteren Klassen kopulieren in den dunklen Gassen und auf dunklen Terrassen. Wohlgenährte Hunde und ewig schlaue Katzen schlüpfen von einem Schatten zum anderen, von schmalen Gassen in Höfe, laufen am äußersten Rand der breiten Durchgangsstraßen entlang, wo tagsüber Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch von den Marktkarren gefallen sind und ihnen nun als Nahrung dienen, und schleichen dann ins Zwielicht enger Gassen und die Dunkelheit unter den Viadukten zurück.
Die Einwohner Iliums haben keine Angst, zu verhungern oder zu verdursten. Beim ersten Hinweis, dass die Achäer anrückten – viele Wochen, bevor die dunklen Schiffe kamen, vor über neun Jahren –, wurden Hunderte von Rindern und Tausende von Schafen in die Stadt getrieben, und auf einer Fläche von tausend Quadratkilometern um die Stadt leerten sich die Felder der Bauernhöfe. Solche Viehtriebe finden noch immer regelmäßig statt, und trotz der halbherzigen Versuche der Griechen, sie zu verhindern, gelangt der größte Teil des Fleisches in die Stadt. Auch Obst und Gemüse strömen nur so nach Ilium hinein, geliefert von denselben cleveren Bauern und Händlern, die auch den Achäern Nahrungsmittel verkaufen.
Troja wurde vor so vielen Jahrhunderten hauptsächlich wegen der gewaltigen Grundwasser führenden Schicht unter der Stadt dort erbaut, wo es steht – die Stadt hat vier riesige Brunnen, die stets frisches Wasser aus der Tiefe heraufbefördern –, aber zur Sicherheit hat Priamos schon vor langer Zeit befohlen, einen Seitenarm des Simoeis im Norden Iliums umzuleiten und durch leicht zu schützende Kanäle und unterirdische Viadukte in die Stadt selbst zu führen. Die Griechen haben größere Schwierigkeiten, Trinkwasser zu finden, als die eigentlich belagerten Trojaner.
Die Einwohnerzahl Iliums – zu dieser Zeit die weitaus größte Stadt der Erde – hat sich seit Kriegsbeginn mehr als verdoppelt. Zuerst kamen die Bauern, Ziegenhirten und Fischer sowie andere umherziehende ehemalige Bewohner der Ebene von Ilium in die Stadt. Ihnen folgten die Truppen der Verbündeten Trojas – nicht nur die Kämpfer, sondern oftmals auch ihre Frauen, Kinder, Eltern, Hunde und Katzen.
Zu diesen Verbündeten gehören verschiedene Gruppen: die »Trojaner«, die nicht aus Troja selbst stammen – die Dardanier und andere aus kleineren Städten und entlegenen Gebieten fern von Ilium, einschließlich der den Trojanern gegenüber loyalen Kämpfer vom Fuß des Ida-Gebirgszugs und aus weit nördlich gelegenen Gebieten wie Lykien. Anwesend sind auch die Adrasteianer und andere
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