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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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den Kampf verlassen, wenn nicht, um zu den Göttern zu beten?«
    »Bete du«, sagte Hektor, den Helm neben sich auf dem Sofa. Der Krieger war in der Tat schmutzig – das Gesicht mit Erde und Blut beschmiert, die sein Schweiß zu einem rötlichen Schlamm vermischt hatte –, und er saß da, wie nur ein zutiefst Erschöpfter dasitzen kann, die Unterarme auf den Knien, den Kopf gebeugt, die Stimme matt. »Geh zum Tempel der Athene, versammle die würdigsten Frauen, nimm das hübscheste und schönste Gewand in Priamos’ Palast mit. Leg es der goldenen Statue der Athene auf die Knie und gelobe sodann, ihr zwölfjährige Rinder im Tempel zu opfern, wenn sie der Stadt sich erbarmt. Bitte die grimmige Göttin, unsere Stadt und unsere trojanischen Frauen und kleinen Kinder vor Diomedes’ Grausamkeit zu bewahren.«
    »Ist es so weit?«, flüsterte Hektors Mutter, beugte sich näher zu ihrem Sohn und nahm eine seiner blutigen Hände in ihre. »Ist es endlich so weit?«
    »Ja«, sagte Hektor, erhob sich mühsam, nahm seinen Helm und verließ die Halle.
    Mit den drei anderen Lanzenkämpfern folgte ich dem erschöpften Helden, als er sechs Blocks weit zur Residenz von Paris und Helena ging, einem großen Gebäudekomplex mit einer Ansammlung prächtiger Terrassen, Wohntürme und privater Höfe.
    Hektor drängte sich an Wächtern und Dienern vorbei, stapfte die Treppen hinauf und stieß die Tür zu Paris’ und Helenas Privatgemächern auf. Ich rechnete halb damit, Paris mit seiner gestohlenen Gefährtin im Bett zu sehen – Homer hatte gesungen, das geile Paar sei Stunden zuvor direkt ins Bett gegangen, nachdem Paris von seinem Entscheidungskampf mit Menelaos weggeholt worden war –, aber stattdessen spielte Paris liebevoll mit seiner Rüstung und seinen Waffen, während Helena nicht weit entfernt saß und Mägde bei ihrer Stickereiarbeit unterwies. Paris blickte auf.
    »Was, zum Teufel, machst du da?«, fuhr Hektor ihn an. »Du hockst hier wie ein Weib, wie ein weinendes Kind, und spielst mit deiner Rüstung herum, während die echten Männer Iliums zu Hunderten sterben, während das Schlachtengetümmel rings um die Stadt entbrannt ist und der Feind unsere Ohren mit seinem fremden Kriegsgeschrei erfüllt? Steh auf, du gottverdammter Deserteur. Steh auf, bevor Troja um deinen feigen Arsch herum vom feindlichen Feuer verbrannt wird!«
    Statt entrüstet aufzuspringen, lächelte der königliche Paris nur. »Ach, Hektor, ich verdiene deine Schmähungen. Nichts, was du sagst, ist ungerecht.«
    »Dann heb den Arsch und leg deine Rüstung an«, sagte Hektor barsch, aber der Zorn in seiner Stimme war plötzlich verflogen; vielleicht lag es an seiner Müdigkeit, vielleicht auch an Paris’ gelassener Weigerung, sich zu verteidigen.
    »Selbstverständlich«, sagte Paris, »aber zuerst hör mich an. Ich will dir etwas sagen.«
    Hektor blieb stumm. Er schwankte ein wenig auf seinen sandalenbewehrten Füßen. Unter dem linken Arm trug er seinen buschigen Helm, in der Rechten hielt er einen überlangen Wurfspeer, den er sich vom Feldwebel unseres kleinen Wachtrupps geliehen hatte. Nun stützte er sich auf das Ende des Speers.
    »Nicht so sehr im Zorn und Unmut über die Trojaner sitze ich hier im Gemach«, sagte Paris mit einer Geste zu Helena und ihren Dienerinnen, als gehörten sie zur Möblierung. »Sondern aus Gram.«
    »Gram?«, wiederholte Hektor. Seine Stimme klang verächtlich.
    »Gram«, bekräftigte Paris. »Gram über meine eigene Feigheit – obwohl mich die Götter aus dem Kampf mit Menelaos weggetragen haben und ich nicht freiwillig gewichen bin –, und Gram über das Geschick unserer Stadt.«
    »Dieses Geschick ist nicht in Stein gemeißelt«, fauchte Hektor. »Wir können Diomedes und seine kampfwütigen Lakaien aufhalten. Leg deine Rüstung an. Komm mit mir zurück in die Schlacht. Wir haben noch eine Stunde Tageslicht. Im blutigen Schein der untergehenden Sonne können wir viele Griechen töten, und noch mehr in der kühlen Abenddämmerung.«
    Paris lächelte und stand auf. »Du hast Recht. Der Kampf erscheint nun selbst mir – dem größten Liebhaber, nicht dem größten Kämpfer der Welt – als der bessere Weg. Das Schicksal und der Sieg sind unbeständig, wie du weißt, Hektor – sie wenden sich hin und her, wie eine Reihe Ungerüsteter im Hagel feindlicher Pfeile.«
    Hektor setzte seinen Helm auf und wartete stumm. Offenbar misstraute er Paris’ Versprechen, wieder in den Kampf zu ziehen.
    »Geh schon vor«, sagte

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