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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Kämpfer von Orten viele Kilometer östlich von Troja, ebenso wie die Pelasger aus Larisa im Süden.
    Aus Europa sind die Thraker, Paionier und Kikonen gekommen, von der Südküste des Schwarzen Meeres die Halizonen – sie leben in der Nähe des Flusses Halys und sind mit den Chalybern verwandt, den Silberschmieden alter Legenden. In der Stadt sind an den Lagerfeuern die Lieder und Flüche der Paphlagonen und Eneter zu hören, eines weiter nördlich am Schwarzen Meer beheimateten Volkes, vielleicht die Ur-Urahnen der künftigen Venezianer. Aus dem nördlichen bis mittleren Kleinasien sind die zottigen Myser gekommen – zwei von ihnen sind Ennomos und Nastes, mit denen ich viel Zeit verbracht habe und die Homer zufolge in der bevorstehenden Schlacht am Fluss von Achilles getötet werden – in einem so schrecklichen Gemetzel, dass sich der Skamandros nicht nur monatelang rot färben, sondern auch von den Leichen all der Männer aufgestaut werden wird, die Achilles hier massakriert, darunter auch von den liegen gebliebenen Leichen von Nastes und Ennomos.
    Außerdem sind noch die Phryger, Maionier, Karer und Lykier hier, die man an ihren wilden Haaren, ihrer seltsam geformten bronzenen Rüstung und ihrem Geruch erkennt.
    Diese Stadt ist voll und bis auf zwei oder drei ihrer vierundzwanzig Stunden pro Tag herrlich lebendig und laut. Dies ist die prächtigste, großartigste und schönste Stadt der Welt – in dieser Zeit oder meiner Zeit oder irgendeiner Zeit in der Geschichte der ganzen Menschheit.
    All dies geht mir durch den Kopf, während ich nackt neben Helena von Troja in ihrem Bett liege. Die Bettwäsche riecht nach Sex und nach uns, eine kühle Brise streicht durch die wogenden Vorhänge herein. Irgendwo grollt Donner; ein Gewitter zieht auf. Helena bewegt sich und flüstert meinen Namen – »Hock-en-bär-iihh …«
     
    Ich bin am späten Nachmittag in die Stadt gekommen, nachdem ich vom Krankenhaus der Götter auf dem Olymp herabgeqtet war. Ich wusste, dass die Muse mich suchte, um mich zu töten, und dass – wenn sie mich heute nicht fand – Aphrodite es tun würde, sobald sie aus ihrem Heiltank herauskam.
    Ich hatte daran gedacht, mich unter die Soldaten zu mischen, die die letzte Schlacht dieses langen Tages beobachteten – irgendwo dort draußen in der Sonne und dem Staub des Spätnachmittags metzelte Diomedes immer noch Trojaner nieder –, doch als ich Hektor mit stark gelichtetem Gefolge zu Fuß zur Stadt zurückkommen sah, morphte ich zu einem der Männer, die ich kannte – Dolon, ein Lanzenkämpfer und bewährter Späher, der bald von Odysseus und Diomedes getötet werden sollte –, und schloss mich Hektor an. Der edle Krieger betrat die Stadt durch das skäische Tor – Iliums Haupttor aus dicken Eichenbalken, so hoch wie zehn Männer von Ajax’ Größe – und war sofort von den Frauen und Töchtern Trojas umlagert, die ihn nach ihren Männern, Söhnen, Brüdern und Geliebten fragten.
    Ich beobachtete, wie sich Hektors hoher roter trojanischer Helmbusch durch die Schar der Frauen bewegte – sein Kopf und seine Schultern schwammen über dem Meer flehender Gesichter –, dann blieb er schließlich stehen und wandte sich an die wachsende Menge. »Betet zu den Göttern, ihr Frauen Trojas«, war alles, was er sagte, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und zum Palast des Priamos marschierte. Einige seiner Soldaten kreuzten lange Lanzen und hinderten die klagende Masse trojanischer Frauen daran, ihm zu folgen. Ich blieb bei den letzten vier Männern seiner Wache und begleitete Hektor schweigend in Priamos’ prächtigen Palast, dem mit glatten Hallen gebauten, wie Homer sagte, und mit Gemächern aus schön geglättetem Marmor.
    Wir traten an die Wand zurück – die Schatten des Abends krochen bereits in die Höfe und Schlafräume – und hielten Wache, während Hektor sich kurz mit seiner Mutter traf.
    »Keinen Wein, Mutter«, sagte er und lehnte den Becher, den sie einem Diener zu bringen befohlen hatte, mit einer Handbewegung ab. »Nicht jetzt. Ich bin zu müde. Der Wein würde mir die letzten Kräfte und den Mut rauben, der mir für das Töten heut Abend geblieben ist. Außerdem bin ich mit Blut und Schmutz und all dem Unrat des Kampfes besudelt – und ich scheue mich, Zeus mit ungewaschenen Händen funkelnden Wein zu spenden.«
    »Mein Kind«, sagte Hektors Mutter, eine Frau, aus deren Verhalten über die Jahre hinweg stets Warmherzigkeit und Gutmütigkeit gesprochen hatten, »weshalb hast du

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