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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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keine Literatur. Ebenso wenig wie du.«
    Odysseus lächelte die Frau an. Ada erkannte das Lächeln wieder; mit diesem Gesichtsausdruck hatte er Fleisch aus der Flanke des Weidetiers geschnitten. Odysseus hatte vor dem Abendessen gebadet, selbst sein lockiges graues Haar war frisch gewaschen, aber vor Adas geistigem Auge sahen seine Arme, seine Hände und sein Bart trotzdem noch genauso aus wie zuvor – mit frischem und geronnenem Blut besudelt. Es ging sie nichts an, aber sie dachte, dass es vielleicht unklug von Savi war, ihn derart zu reizen.
    »Einer, der noch nicht lesen und schreiben kann, und die, die nicht mehr lesen und schreiben können«, fuhr Savi mit einer Handbewegung fort, als wollte sie Odysseus und die anderen vier einander vorstellen. Dann hob sie den Finger. »Oh, ich vergaß unseren Freund Harman hier. Er ist der Balzac und Shakespeare des gegenwärtigen Altmenschen-Wurfs. Er liest ungefähr auf dem Niveau eines Sechsjährigen aus dem Untergegangenen Zeitalter, stimmt’s, Harman Uhr? Die Lippen bewegen sich, wenn du die Worte beim Lesen laut aussprichst, hm?«
    »Ja«, sagte Harman mit einem leisen Lächeln. »Meine Lippen bewegen sich tatsächlich, wenn ich lese. Ich wusste nicht, dass es auch anders geht. Und ich habe mehr als vier Zwanziger gebraucht, um dieses Leistungsniveau zu erreichen.« Für Ada klang es, als wüsste der Neunundneunzigjährige, dass er beleidigt wurde, als wäre es ihm jedoch egal; ihn schien einzig und allein zu interessieren, was Savi als Nächstes sagen würde.
    Ada räusperte sich. »Was war das für ein Tier, das du heute … getötet hast?«, fragte sie Odysseus in munterem, keckem Ton. »Nicht die Terrorvögel, sondern das andere?«
    »Für mich ist es das Weidetier mit der weichen Schnauze«, sagte Odysseus. »Möchtest du davon probieren?« Er langte nach hinten zum Tresen, hob die Servierplatte mit dem vom Feuer geschwärzten Fleisch hoch und hielt sie Ada hin.
    Ada, die höflich sein wollte, wählte das kleinste Stück auf der Platte und beförderte es mit ihrem Besteck behutsam auf ihren Teller.
    »Ich hätte auch gern etwas«, sagte Harman. Die Platte ging herum. Hannah und Daeman musterten das Fleisch mit gerunzelter Stirn, beschnupperten es und lächelten höflich, nahmen jedoch nichts. Als die Platte zu Savi kam, reichte sie sie wortlos an Odysseus weiter.
    Ada knabberte an dem kleinsten Bissen, den sie abschneiden konnte. Das Fleisch war köstlich – wie Steak, nur fester und geschmacksintensiver. Der Holzrauch bewirkte, dass es ganz anders schmeckte als die Mikrowellennahrung, die sie bisher gegessen hatte. Sie schnitt sich ein größeres Stück ab.
    Odysseus’ einziges Esswerkzeug war ein kurzes, scharfes Messer, das er mit an den Tisch gebracht hatte. Er schnitt sich dünne Fleischstreifen ab, spießte sie mit der Messerspitze auf und biss davon ab. Ada versuchte, nicht hinzustarren.
    »Macrauckenia«, sagte Savi zwischen zwei Happen von ihrem Salat und dem in der Mikrowelle erhitzten Reis.
    Ada blickte auf und fragte sich, ob dieses Wort auch zum seltsamen Sprachritual der Frau gehörte.
    »Verzeihung?«, sagte Daeman.
    »Macrauchenia. So heißt das Tier, das unser griechischer Freund getötet hat und das unsere anderen beiden Freunde essen, als gäbe es keinen zweiten Gang. Vor ein paar Millionen Jahren haben sie diese südamerikanischen Ebenen bevölkert, aber sie wurden ausgerottet, bevor die Menschheit in Südamerika auftauchte. Die ERNisten haben sie in den verrückten Jahren nach dem Rubikon wieder zum Leben erweckt, bevor die Nachmenschen mit der unüberlegten Neuzüchtung ausgerotteter Spezies Schluss machten. Nachdem das Macrauchenia aber nun wieder da war, hielten es einige ERNisten für clever, auch Phorusrhacos zurückzuholen.«
    »Forus-was?«, sagte Daeman.
    »Phorusrhacos. Den Terrorvogel. Die ERNisten-Genies vergaßen, dass diese Vögel Jahrmillionen lang das größte Raubtier in Südamerika gewesen waren. Zumindest bis die Smilodonten von Nordamerika einwanderten, als der Wasserspiegel sank und die Landbrücke zwischen den Kontinenten zutage trat. Wusstet ihr, dass der Isthmus von Panama wieder unter Wasser liegt? Dass die Kontinente wieder getrennt sind?« Offenkundig betrunken, streitlustig und in dem sicheren Wissen, dass keiner von ihnen auch nur die geringste Ahnung hatte, wovon sie sprach, schaute sie von einem zum anderen.
    Harman nippte an seinem Wein. »Ob wir wohl wissen wollen, was ein Smilodont ist?«
    Savi zuckte die

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