Ilium
Helena von Troja zu tun hatte, der sterblichen Tochter des Zeus, einer Frau, die in einem Universum lebte, in dem Götter und Göttinnen ständig mit Sterblichen bumsten; einer Welt, in der göttliche und andere Gestaltwandler unter Sterblichen wandelten; einer Welt, in der das Konzept von Ursache und Wirkung völlig andere Bedeutungen hatte. Ich sagte: »Die Götter haben mir die Fähigkeit geschenkt, zu mor… meine Gestalt zu verändern.«
»Wer bist du?«, fragte sie. » Was bist du?« Sie schien nicht wütend, ja nicht einmal sonderlich schockiert zu sein. Ihre Stimme klang ruhig, ihr schönes Gesicht war weder vor Furcht noch vor Zorn verzerrt. Aber die Klinge bohrte sich beständig in meinen Bauch. Die Frau wollte eine Antwort haben.
»Mein Name ist Thomas Hockenberry«, sagte ich. »Ich bin Scholiker.« Ich wusste, das alles würde für sie keinen Sinn ergeben. Mein Name klang selbst für mich seltsam, hart und scharfkantig gegenüber den sanfteren Tönen ihrer uralten Sprache.
»Tho-mas Hock-en-bär-iihh«, sprach sie ihn nach. »Das klingt persisch.«
»Nein«, sagte ich. »Es ist holländisch, deutsch und irisch.«
Ich sah, wie Helena die Stirn runzelte, und merkte, dass diese Worte für sie nicht nur keinen Sinn ergaben, sondern dass ich mich anhörte, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
»Kleide dich an«, sagte sie. »Wir unterhalten uns auf der Terrasse.«
Zu beiden Seiten von Helenas großem Schlafzimmer gab es je eine Terrasse. Eine ging auf den Hof hinaus, die andere nach Süden und Osten mit Blick über die Stadt. Mein Schwebegeschirr und die anderen Sachen außer dem QT-Medaillon und dem Morpharmband, die ich im Bett anbehalten hatte, waren hinter dem Vorhang auf der Terrasse zum Hof versteckt. Helena führte mich auf die äußere Terrasse. Wir trugen beide dünne Gewänder. Helena behielt ihr kurzes, spitzes Messer in der Hand, als wir im Widerschein der Stadt und der gelegentlich aufzuckenden Blitze am Geländer standen.
»Ich wusste, dass du kein Gott bist«, sagte sie. »Ich hätte dich ausgenommen wie einen Fisch, wenn du mich in diesem Punkt angelogen hättest.« Sie lächelte grimmig. »Du liebst nicht wie ein Gott.«
Also bitte, dachte ich, aber sonst gab es dazu nichts zu sagen.
»Warum haben die Götter dir die Fähigkeit verliehen, andere Gestalt anzunehmen?« Die Spitze des Dolches war nur ein paar Zentimeter von meiner nackten Haut unter dem Gewand entfernt.
Ich zuckte die Achseln, aber dann erinnerte ich mich, dass diese Geste den Menschen des Altertums unbekannt war. »Für ihre eigenen Zwecke. Ich diene ihnen. Ich beobachte die Schlacht und berichte ihnen davon. Dabei ist es von Nutzen, wenn ich die Gestalt … anderer Männer annehmen kann.«
Helena schien das nicht zu überraschen. »Wo ist mein trojanischer Liebhaber? Was hast du mit dem echten Paris gemacht?«
»Es geht ihm gut«, sagte ich. »Wenn ich seine Gestalt aufgebe, wird er fortfahren, das zu tun, was er getan hat, als ich zu ihm gemorpht … als ich seine Gestalt angenommen habe.«
»Wo wird er sein?«
Diese Frage fand ich ein wenig seltsam. »Wo er auch gewesen wäre, wenn ich mir seine Gestalt nicht ausgeliehen hätte«, antwortete ich schließlich. »Ich glaube, er hat gerade die Stadt verlassen und sich zu Hektor gesellt, um morgen an seiner Seite zu kämpfen.« Wenn ich aus Paris’ Gestalt morphe, wird er in Wahrheit genau dort sein, wo er gewesen wäre, wenn er während der Zeit, in der ich seine Identität innehatte, weitergelebt hätte – vielleicht schläft er in einem Zelt, ist mitten im Kampf oder vögelt gerade eine der jungen Sklavinnen in Hektors Feldlager. Aber es war zu schwierig, Helena dies erklären zu wollen. Ich glaubte nicht, dass sie einen Vortrag über die Funktionen von Wahrscheinlichkeitswellen und über quantentemporale Simultaneität zu schätzen gewusst hätte. Ich konnte nicht erklären, weshalb weder Paris noch die Menschen um ihn herum seine Abwesenheit bemerkten, oder warum die Ereignisse sich vielleicht wieder in die Ilias einfügen würden, als hätte ich den Wahrscheinlichkeitswellenkollaps dieser Zeitlinie nicht unterbrochen. Es war möglich, dass die Quantenkontinuität wieder hergestellt wurde, sobald ich die Morphfunktion abschaltete.
Verdammt, ich kapierte rein gar nichts von alledem.
»Verlass seinen Körper«, befahl Helena. »Zeig mir deine wahre Gestalt.«
»Frau, wenn ich …«, begann ich zu protestieren, aber ihre Hand bewegte sich
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