Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
über den Caldera-See geflogen sind. Ein paar Zentimeter über dem Metall erscheint ein leuchtendes, transparentes Bedienungsfeld. Ich berühre die Symbole dort in derselben Reihenfolge, wie ich es bei der Muse gesehen habe.
    Der Streitwagen schwankt, hebt ab, schwankt erneut und stabilisiert sich, als ich den leuchtenden virtuellen Energieregler neben den Anzeigen bewege. Ich drehe ihn nach links, und der Streitwagen legt sich fünfzehn Meter über dem Gipfelrasen in eine Linkskurve. Ich berühre den vorwärts zeigenden Pfeil, und der Wagen macht einen Satz nach vorn und fliegt in südliche Richtung über den blauen See. Für jeden Gott, der mich beobachtet, müsste es den Anschein haben, als flöge ein leerer Streitwagen aus eigener Kraft, aber es ist kein Gott zu sehen, der mich beobachten könnte.
    Jenseits des Sees gehe ich ein wenig höher und suche das richtige Gebäude. Dort – direkt hinter der großen Halle der Götter.
    Auf der Vordertreppe des riesigen Gebäudes schreit eine Göttin auf – ich erkenne sie nicht – und zeigt auf meinen scheinbar leeren Streitwagen, aber es ist zu spät – ich habe das Gebäude identifiziert, das ich suche: riesengroß, weiß, mit offenem Eingang.
    Allmählich bekomme ich ein Gefühl für die Steuerung des Streitwagens. Ich tauche bis auf sechs Meter über dem Boden herab und beschleunige, während ich auf das Gebäude zufliege. Ich muss die linke Seite des Streitwagens anheben, sodass er fast rechtwinklig zum Boden steht – ich falle nicht, die Maschine hat künstliche Schwerkraft –‚ während ich mit sechzig, siebzig Stundenkilometern zwischen den gewaltigen Säulen hindurchschieße. Drinnen sieht es noch genauso aus, wie ich es in Erinnerung habe: die riesigen Bottiche, die mit einer sprudelnden, violetten Flüssigkeit gefüllt sind, grüne Würmer, die sich um die bewusstlosen, schwebenden, genesenden Götter ringeln. Der Heiler – das riesige Tausendfüßlerding mit den metallischen Armen und roten Augen – ist auf der gegenüberliegenden Seite von Aphrodites Rekonstruktionsbottich und macht sich gerade bereit, sie herauszuholen, nehme ich an; seine roten Augen schauen in meine Richtung und seine vielen Arme erzittern, als der Streitwagen in den stillen Raum hineinrast, aber er steht nicht zwischen mir und meinem Ziel, und ich beschleunige erneut, bevor er oder irgendetwas anderes mich aufhalten kann.
    Erst in letzter Sekunde beschließe ich abzuspringen, statt im Streitwagen zu bleiben. Es liegt bestimmt an der Erinnerung an Helena, an der Nacht mit Helena – an der wieder erwachten Lebensfreude in diesen Stunden mit ihr.
    Geschützt vom Hades-Helm, springe ich von dem dahinrasenden Streitwagen herunter, lande hart, spüre, wie etwas in meiner rechten Schulter geprellt wird, vielleicht sogar bricht, überschlage mich ein paarmal und bleibe dann liegen, während der Streitwagen direkt in den Rekonstruktionsbottich hineinfliegt, Kunststoff und Stahl zertrümmert und violette Flüssigkeit dreißig Meter hoch in die Luft des riesigen Raumes spritzen lässt. Etwas – entweder ein Teil des Streitwagens oder eine große Scherbe Bottichglas – schneidet den riesenhaften Heiler mittendurch.
    Umhüllt von einer Masse sich ringelnder, zappelnder grüner Würmer, schwappt Aphrodites Körper in einer Woge violetter Flüssigkeit heraus und landet auf dem Boden. Die anderen Bottiche – einschließlich desjenigen mit Ares in seinem Würmernest – schaukeln, zerbrechen aber nicht und fallen auch nicht um.
    Signalhörner, Alarmanlagen und Sirenen gehen mit ohrenbetäubendem Lärm los.
    Ich versuche aufzustehen, aber mein Kopf, das linke Bein und die rechte Schulter tun furchtbar weh, und ich sinke wieder zu Boden. Ich krieche zu einer Seite des Raums und versuche, mich von dem violetten Schleim fern zu halten. Ich habe Angst davor, was die Chemikalien mit mir anstellen könnten, aber noch mehr fürchte ich, dass sich die Konturen meines Körpers in der Flut abzeichnen würden, wenn ich ihr nicht entkomme. Schwarze Punkte tanzen in meinem Gesichtsfeld, und ich merke, dass ich drauf und dran bin, ohnmächtig zu werden. Götter und schwebende Robot-Maschinen stürmen in die große Heilkammer.
    In den Sekunden, bevor ich das Bewusstsein verliere, sehe ich, wie der mächtige Zeus mit wehendem Umhang und gefurchter Stirn hereingestapft kommt.
    Was auch immer als Nächstes geschehen wird, es muss ohne mich geschehen. Ich lege die Stirn an den kühlen Boden, schließe die Augen

Weitere Kostenlose Bücher