Ilium
den Hängen des Ida gelandet, des höchsten Berges im Umkreis von Ilium, der einem Gott einen guten Blick auf die Stadt bietet, hat seinen überdimensionalen Thron auf dem dortigen Berggipfel eingenommen und auf die hohen Mauern der Stadt und die Hunderte achäischer Kriegsschiffe hinuntergeschaut, die am Strand und in einiger Entfernung von der Küste vor Anker liegen. Da die anderen Götter nach Zeus’ Machtdemonstration zu eingeschüchtert sind, um zum Spielen herabzukommen, richtet der Göttervater seine goldene Waage aus und wiegt ab, welchen Männern dort unten der Tod bestimmt ist – ein Gewicht hat die Form eines trojanischen Reiters, das andere ist ein achäischer Lanzenkämpfer in bronzener Rüstung.
Zeus fasst die heilige Waage in der Mitte und hebt sie hoch, und schon senkt sich der Schicksalstag der Achäer, während das Los Trojas zum Himmel emporsteigt. Zeus lächelt darüber, und ich bin nah genug, um zu sehen, dass der alte Bastard den Daumen an den Waagschalen gehabt hat.
Die Trojaner ergießen sich aus ihren Stadttoren wie aufgestörte Hornissen aus ihrem Nest. Der Himmel ist wolkenverhangen und grau, er brodelt von dunkler Energie, und Zeus lässt seine Donnerblitze häufig aufs Schlachtfeld niederfahren – und immer treffen sie die Argeier und die langhaarigen Achäer. Obwohl die Griechen die Missfallensbekundungen des Götterkönigs deutlich sehen, drängen sie nach vorn, um zu kämpfen – was bleibt ihnen auch anderes übrig? –, und die Ebene von Ilium hallt wider vom Krachen gegeneinander schlagender Schilde, dem Scharren der Langspieße, dem Rumpeln der Streitwagen und den Schreien sterbender Männer und Pferde.
Die Achäer haben von Anfang an schlechte Karten. Blitze schlagen in ihren Reihen ein, rösten in Bronze gekleidete Männer wie Hähnchen am Grill. Hektor stürmt wie eine Naturgewalt vorwärts, und der ruhige Mann mit Frau und Kind auf den Mauern von Ilium, den ich bewundert habe, ist verschwunden; an seine Stelle ist ein blutbesudelter Berserker getreten, der Männer wie Getreide niedermäht und seine Gefolgsleute mit lauter Stimme anfeuert, noch mehr Blut zu vergießen, ein noch größeres Gemetzel anzurichten. Seine Gefolgsleute gehorchen, das gesamte trojanische Heer und seine Verbündeten brüllen wie aus einem Mund, wogen in rauen Massen vorwärts und überrollen die zurückweichenden Achäer wie ein Tsunami aus Bronze und Leder.
Paris – den ich in meiner Schilderung seiner Begegnung mit Hektor noch am Vortag als Fatzke abgetan und dem ich anschließend Hörner aufgesetzt habe – fährt neben Hektor her und kommt ebenfalls wie eine von Dämonen besessene Tötungsmaschine über die Achäer. Paris ist ein mörderisch guter Bogenschütze, und an diesem Tag scheinen seine langen Pfeile kein einziges Mal ihr Ziel zu verfehlen. Achäer und Argeier fallen mit Paris’ langschaftigen Pfeilen im Hals, im Herzen, in den Genitalien und Augen. Jeder Schuss ist ein Treffer.
Hektor bahnt sich mit wilden Schwerthieben seinen Weg durch jedes griechische Widerstandsnest, trennt Köpfe vom Rumpf, als wären die Hälse Gänseblümchenstiele, gewährt in der Taubheit seines Blutrauschs keine Schonung, erhört kein Flehen um Gnade. Wenn es den Achäern hier und dort einmal gelingt, sich zu einer tapferen Gruppe zu sammeln und den angreifenden Trojanern die Stirn zu bieten, schlägt ein blauer Energieblitz aus den brodelnden Wolken wie eine kosmische Granate in ihrer Mitte ein, und der folgende Donner mischt sich mit den Schreien sterbender Männer.
Ideomeneus und der große König Agamemnon ergreifen die Flucht. Dann verlieren der große und der kleine Ajax, Teilnehmer von tausend Feldzügen, den Mut und fliehen vom Schlachtfeld. Odysseus, der »göttliche Dulder«, kann das Gemetzel nicht mehr ertragen und kommt zu dem Schluss, dass der bessere Teil der Tapferkeit darin liegen muss, für die Sicherheit seiner Schiffe unten am Strand zu sorgen. Er läuft verdammt schnell für einen so kurzbeinigen Mann. Der Einzige, der sich nicht umdreht und flieht, ist der alte Nestor, und das auch nur, weil Helenas Gemahl seinem Leitpferd einen Pfeil durch den Schädel gejagt hat, sodass sich die anderen Rosse in ihrer Panik verheddern. Nestor durchtrennt die Zugriemen mit seinem Schwert – offenbar will er das Schlachtfeld unbedingt so schnell wie möglich verlassen –, aber Hektors Streitwagen schießt vorwärts, die Männer um Nestor fallen unter Paris’ Pfeilen, die ihnen aus der Brust und
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