Ilium
Kampf, und nun seid ihr nicht einmal einem gewachsen – Hektor.
Hektor wird bald hier sein mit seinen Horden und die Schiffe verbrennen mit loderndem Feuer, und dieses prahlerische Heer von … Helden …« – Agamemnon spuckt das Wort geradezu aus – »wird nach Hause flüchten zu Frau und Kind – auf meine Kosten!«
Agamemnon wendet sich resignierend von seiner Truppe ab und hebt die Hände zum Südhimmel, zum Ida-Gebirge, woher die Stürme, der Donner und die Blitze gekommen sind. »Vater Zeus, wie kannst du mir so meinen großen Ruhm entreißen? Womit habe ich dich beleidigt? Niemals, sage ich, kein einziges Mal bin ich auf unserer Reise hierher an einem deiner schönen Altäre vorübergefahren; auf jedem habe ich Fett und Schenkel von Rindern zu deinem Ruhme verbrannt. Unser Gebet war schlicht – vom Erdboden tilgen wollen wir das gut ummauerte Troja, seine Helden töten, seine Frauen vergewaltigen, seine Bewohner versklaven. Ist das zu viel verlangt?
Zeus, gewähre mir nur dies eine Verlangen: Lass meine Männer wenigstens selbst dem Tod entfliehn, dass die Trojaner uns nicht schlagen wie gemietete Maultiere!«
Ich habe schon eloquentere Reden von Agamemnon gehört – zum Teufel, alle Reden, die ich von ihm gehört habe, waren eloquenter als diese, und ich verstehe Homers Bedürfnis, das alles umzuschreiben –, aber in dieser Sekunde geschieht ein Wunder. Oder jedenfalls betrachten die Achäer es als ein Wunder.
Aus dem Nichts erscheint ein Adler. Er kommt von Süden geflogen – ein riesiger Adler mit einem Kitz in den Fängen.
Die zu den Schiffen flutenden Menschen, die sich auf dem Meer in Sicherheit bringen wollen und nur kurz innegehalten haben, um Agamemnons Rede anzuhören, bleiben wie angewurzelt stehen und starren auf das Bild, das sich ihnen darbietet: Der Adler schwingt sich in die Höhe, kreist, kommt wieder herunter und lässt das noch zappelnde Kitz dreißig Meter tief auf einen Sandhaufen direkt vor dem steinernen Altar fallen, den die Achäer bei ihrer Landung vor so vielen Jahren für Zeus errichtet hatten.
Das gibt den Ausschlag. Nach fünfzehn Sekunden fassungsloser Stille steigt ein Aufschrei von den Männern empor – von Männern, die noch vor zehn Minuten feige die Flucht ergriffen, nun jedoch ihren Kampfesmut wiedergefunden haben, deren Herzen und Hände durch dieses deutliche Zeichen für Zeus’ Vergebung und Billigung wieder zu Kräften gekommen sind –, und fünfzigtausend Achäer und Argeier und alle anderen nehmen umstandslos wieder hinter ihren Anführern Aufstellung, Pferde werden wieder vor Streitwagen gespannt, Streitwagen fahren über die Lehmbrücken hinaus, die noch die Verteidigungsgräben überspannen, und die Schlacht beginnt von neuem.
Nun kommt die Stunde des Bogenschützen.
Obwohl Diomedes den Gegenangriff anführt, dicht gefolgt von den Atriden Agamemnon und Menelaos, denen wiederum der große und der kleine Ajax folgen, und obwohl diese Helden mit ihren Speeren und Kurzschwertern reiche Ernte unter den Trojanern halten, steht jetzt der achäische Bogenschütze Teukros, unehelicher Sohn des Telamon und Halbbruder des großen Ajax, im Mittelpunkt des Kampfes.
Teukros galt schon immer als meisterhafter Bogenschütze, und ich habe im Lauf der Jahre Dutzende von Trojanern unter seinen Pfeilen fallen sehen, aber dies ist sein Tag im Scheinwerferlicht. Ajax und er finden einen Rhythmus, bei dem Teukros im Schutz des Schildes seines Halbbruders hockt – der große Ajax benutzt einen riesigen rechteckigen Schild, wie er Militärhistorikern zufolge zur Zeit des trojanischen Krieges gar nicht gebräuchlich war –, und sobald Ajax den Schild hebt, schießt Teukros in die rund sechzig Meter entfernten trojanischen Reihen hinein. An diesem Tag scheint er sein Ziel nicht verfehlen zu können.
Zuerst tötet er Orsilochos, indem er dem kleinen Mann einen mit Widerhaken versehenen Pfeil ins Herz jagt. Dann tötet er Ophelestes mit einem Pfeil ins linke Auge, als der Trojaner über seinen rohledernen Schild hinweglugt. Dann fallen Daitor und Chromios, tödlich getroffen von zwei schnellen, perfekt platzierten Schüssen. Jedes Mal, wenn Teukros schießt, lassen die Trojaner ebenfalls ihre Pfeile und Lanzen fliegen, um den Bogenschützen zu töten, aber vergeblich – der große Ajax kauert über ihnen beiden, und an seinem massiven Schild prallt jedes Geschoss ab.
Der trojanische Pfeilhagel verebbt, Ajax hebt seinen Schild, und Teukros trifft Lykophontes, den
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