Ilium
bevorzugte die kleine, stämmige, brünette Diomede mit ihren großen Brüsten; Patroklos, viel kleiner als Achilles und dunkelhaarig, hatte sich für die hoch gewachsene, blonde, schlanke, kleinbrüstige Iphis entschieden. Etwa eine halbe Stunde lang hörte ich das Lachen der Frauen, die derben Worte der Männer, dann das Stöhnen und die Schreie aller vier in Achilles’ Schlafgemach. Offenbar hatten der Held und sein Freund keine Skrupel, ihre Gespielinnen Seite an Seite zu rammeln, ja sogar sich währenddessen darüber zu unterhalten – was mich eher an Bloomington, Indiana, männliche Immobilienmakler oder Logenbrüder denken ließ, die sich ein Wochenende in der Großstadt gönnen, als an die edlen Recken dieser heroischen Zeit. Barbarisch.
Dann verschwanden die Mädchen – unter viel Gekicher –, und es wurde still, bis auf die leisen Wortwechsel zwischen den Wachen draußen vor dem Zelt und das Knistern der Flammen in den Kohlebecken, an denen sich die Wachen wärmten. Und das ungeheure Schnarchen aus Achilles’ Schlafgemach. Ich hatte Patroklos nicht gehen hören, also klang entweder er oder der goldene Held, als hätte er eine verkrümmte Nasenscheidewand.
Nun liege ich hier und denke über meine Möglichkeiten nach. Nein, erst einmal lege ich die Gestalt des alten Phönix ab – zum Teufel mit den Folgen! –‚ liege hier als Thomas Hockenberry und denke über meine Möglichkeiten nach.
Ich habe meine Hand am QT-Medaillon. Ich kann wieder zu Helenas Schlafgemach springen – ich weiß genau, dass Paris dort draußen jenseits des Grabens ist, kilometerweit von der Stadt entfernt, und auf die Morgendämmerung wartet, um gemeinsam mit Hektor zum finalen Gemetzel an den Griechen und der Einäscherung der achäischen Schiffe zu schreiten. Helena würde sich vielleicht freuen, mich zu sehen. Aber vielleicht hätte sie auch keine weitere Verwendung mehr für den nächtlichen Besucher namens Hockenberry – wie seltsam, dass hier jemand, abgesehen von anderen Scholikern, meinen Namen kennt! – oder keinen Spaß mehr an ihm und könnte ihre Wachen rufen. Was eigentlich kein Problem wäre; ich könnte jederzeit sofort wegqten.
Aber wohin?
Ich kann diesen wahnwitzigen Plan aufgeben, den Verlauf der Ilias zu ändern, kann meinen in der Nacht des Streits zwischen Agamemnon und Achilles gefassten Vorsatz aufgeben, mich den unsterblichen Göttern zu widersetzen, zum Olymp qten, mich bei der Muse und der bis dahin vielleicht schon dekantierten Aphrodite entschuldigen, Zeus um eine Privataudienz bitten und um Gnade winseln.
Mhm. Wie stehen die Chancen, dass sie vergeben und vergessen, Hockenbush? Du hast den Hades-Helm, das QT-Medaillon und deine komplette Scholikerausrüstung geklaut und für deine eigenen Zwecke verwendet. Du bist vor der Muse geflohen. Und was am schlimmsten ist, du hast einen fliegenden Streitwagen gekapert und versucht, Aphrodite in ihrem Genesungstank umzubringen!
Das Beste, was ich mir nach der Entschuldigung erhoffen könnte, wäre, dass Zeus, Aphrodite oder die Muse mich schnell töten, statt mich von innen nach außen zu stülpen oder mich in die düstere Grube des Tartaros zu werfen, wo ich wahrscheinlich von Kronos und den anderen barbarischen Titanen, die Zeus dorthin verbannt hat, bei lebendigem Leibe gefressen würde.
Nein, was ich mir da eingebrockt habe, muss ich auch ausbaden. Oder wie immer das heißt. Wer A sagt, muss auch B sagen. Kein Mumm, kein Ruhm. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Aber während ich noch um ein Klischee ringe, irgendein Klischee, beschleicht mich eine tief schürfende Erkenntnis in Gestalt einer zutiefst unprofessoralen, aber vollauf überzeugenden Formulierung:
Wenn mir nicht bald etwas einfallt, sitze ich wirklich voll in der Scheiße.
Ich kann versuchen, mit Odysseus zu reden.
Odysseus ist hier der Vernünftige, der Kultivierte, der kluge Taktiker. Vielleicht wäre Odysseus heute Nacht die Lösung. Ich hätte eher eine Chance, Odysseus davon zu überzeugen, dass es eine Alternative wäre, diesen Krieg gegen die Trojaner zu beenden und mit ihnen gemeinsame Sache gegen die allzu menschlichen Götter zu machen. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe mit meinen Studenten immer lieber die Odyssee durchgenommen als die Ilias; Fitzgeralds feinfühlige Übertragung der Odyssee ist so viel humaner als die raue Kampfeslust von Mandelbaums, Lattimores, Fagles’ und sogar Popes Ilias. Ich habe mich geirrt, als ich dachte, ich könnte den
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