Ilium
lade den Scan, den ich vor zwei Tagen in der Halle der Götter auf dem Olymp gemacht habe. Ich weiß nicht, ob es funktionieren wird – die anderen Scholiker haben immer über die Idee gelacht.
Wahrscheinlichkeitswellen verschieben sich durch Quantenschichten, die ich nicht wahrnehmen kann. Die Luft scheint zu erzittern, steht still, erzittert dann erneut. Ich schiebe mir den weichen Hades-Helm vom Kopf und erscheine.
Erscheine als Pallas Athene, Tritogeneia, Drittgeborene der Götter, Tochter des Zeus, Beschützerin der Achäer. Fast drei Meter groß und mein eigenes göttliches Licht ausstrahlend, trete ich näher ans Bett heran, als Achilles und Patroklos aus dem Schlaf aufschrecken.
Ich spüre die Instabilität in jedem Atom dieser gemorphten Gestalt. Das Morpharmband war nicht dazu vorgesehen, uns zu Göttern werden zu lassen, doch obwohl meine Gestalt wie eine hart angeschlagene Harfe summt, nutze ich die kurze Zeit, die mir diese Quantensubstitution geben wird. Ich bemühe mich, das Gefühl zu ignorieren, dass ich auf einmal nicht nur Brüste und eine Vagina habe – ich habe noch nie die Gestalt einer Frau angenommen –‚ sondern auch eine Göttin bin.
Die Gestalt ist instabil. Tief im Innersten weiß ich, dass ich nicht über Athenes Kräfte verfüge, sondern mir nur für diese paar Sekunden ihre Quantenhülle ausgeliehen habe. Mir ist, als würde es eine nukleare Reaktion, eine Morphschmelze geben, wenn ich Athenes Quantenwellenform nicht rasch wieder ablege. Darum spreche ich schnell. »Achilles! Wach auf! Erhebe dich!«
»Göttin!«, ruft der fußschnelle Männertöter und rollt von den Kissen auf den Fußboden. »Was bringt dich mitten in der Nacht hierher, Zeusgeborene?«
Patroklos reibt sich die Augen und rappelt sich ebenfalls auf. Die Körper der beiden nackten Männer sind wohlgeformter und schöner als die besten griechischen Statuen. Ihre unbeschnittenen Penisse baumeln gegen ihre muskulösen, gebräunten Schenkel.
»SEI STILL!«, brülle ich. Athenes verstärkte Stimme klingt übermenschlich. Mir ist klar, dass ich die anderen in Achilles’ Zelt aufwecke und wahrscheinlich die Wachen draußen alarmiere. Ich habe weniger als eine Minute. Wie zum Beweis dafür erzittert Athenes goldener Arm, wird zu Professor Thomas Hockenberrys blassem, haarigem Unterarm und verwandelt sich dann wieder in den von Athene. Ich sehe, dass Achilles den Blick gesenkt und nichts bemerkt hat. Patroklos starrt mich verwirrt an, mit großen Augen.
»Göttin, wenn ich dich beleidigt habe …«, beginnt Achilles und hebt den Blick, lässt den Kopf jedoch gesenkt.
»SCHWEIG!!«, brülle ich. »KANN EINE AMEISE, DIE IM SCHMUTZ KRABBELT, EINEN MENSCHEN BELEIDIGEN? KANN DER NIEDRIGSTE UND HÄSSLICHSTE FISCH IM MEER DEN SEEMANN BELEIDIGEN, DER MIT SEINEN GEDANKEN BEI ANDEREN DINGEN IST?«
»Eine Ameise?«, wiederholt Achilles. Sein hübsches, wohlgeformtes Gesicht zeigt die Verwirrung eines gescholtenen Kindes.
»IHR ALLE SEID WENIGER ALS AMEISEN FÜR DIE GÖTTER«, donnere ich und trete einen Schritt näher an sie heran, sodass Athenes Glanz wie radioaktives Licht über sie flackert. »IHR HABT UNS MIT EUREM STERBEN AMÜSIERT, ACHILLES … SOHN DES PELEUS UND DER THETIS SCHWACHSINNIGES KIND.«
»Schwachsinniges Kind«, wiederholt Achilles, während ihm die Röte in die hohen Wangenknochen steigt. »Göttin, womit habe ich …«
»SCHWEIG, FEIGLING!« Ich habe Athenes Stimme dermaßen verstärkt, dass man diese Beleidigung noch anderthalb Kilometer entfernt in Agamemnons Lager hören kann. »DU BIST UNS VÖLLIG EGAL. IHR ALLE SEID UNS VÖLLIG EGAL. EUER TOD AMÜSIERT UNS … JEDOCH NICHT DEINE FEIGHEIT, FUSSSCHNELLER ACHILLES!« Die letzten Worte stoße ich höhnisch hervor und verwandle die ehrenvolle Bezeichnung des Dichters damit in eine demütigende Beleidigung.
Achilles ballt die Fäuste und tritt einen halben Schritt vor, als näherte er sich einem Feind. »Göttin, Pallas Athene, Beschützerin der Achäer, ich habe dir immer die besten Opfer dargebracht …«
»DAS OPFER EINES FEIGLINGS BEDEUTET UNS GÖTTERN AUF DEM OLYMP GAR NICHTS«, donnere ich und merke, dass die Wahrscheinlichkeitswelle, die die wirkliche Göttin Athene ist, kurz vor dem kritischen Moment des Zusammenbruchs steht. Mir bleiben nur noch Sekunden in dieser halb gemorphten Gestalt.
»VON NUN AN HOLEN WIR UNS UNSERE OPFER SELBST UND VERBRENNEN SIE«, sage ich, und Athenes Arm reckt sich Patroklos entgegen. Der Stab ist unter meinem
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