Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Angelpunkt der Ereignisse finden, wenn ich mit der Gesandtschaft an Achilles hierher komme.
    Nein, Achilles ist nicht der Mann, an den ich mich in dieser Nacht – dem Rest dieser Nacht – wenden muss, sondern Odysseus, der Sohn des Laertes, ein Mann, der vielleicht imstande wäre, die Bitten eines Gelehrten und die zwingende Logik des Friedens zu verstehen.
    Ich stehe tatsächlich auf und berühre das QT-Medaillon, bereit, Odysseus zu suchen und ihm meine Bitte vorzutragen. Es gibt nur ein kleines Problem, das mich davon abhält: Wenn Homer die Wahrheit gesagt hat, weiß ich, was woanders passiert, während ich in diesem Zelt liege und vor mich hin grüble. Agamemnon und Menelaos können nicht schlafen, weil sie selbst über den Lauf der Ereignisse brüten, und irgendwann um diese Zeit (oder vielleicht ist es schon eine Stunde her) ruft der ältere und königlichere Bruder nach Nestor und bittet ihn um Ideen, wie sich das drohende Massaker abwenden ließe. Nestor empfiehlt, mit Diomedes, Odysseus, dem kleinen Ajax und einigen anderen Führern der Achäer Kriegsrat zu halten. Sobald sie versammelt sind, schlägt Nestor vor, dass der Kühnste unter ihnen sich hinter die trojanischen Linien schleichen und Hektors Absichten auskundschaften soll – werden die Trojaner und ihre Verbündeten in ein paar Stunden versuchen, die Schiffe anzuzünden? Oder hat Hektor womöglich fürs Erste genug Blut vergossen und genug Siege errungen und wird seine Horden vor der Eröffnung weiterer Feindseligkeiten in die Stadt zurückführen, um dort zu feiern?
    Diomedes und Odysseus werden erwählt, das herauszufinden, und weil die beiden aus dem Schlaf zu diesem Kriegsrat geholt vvurden, ohne ihre eigenen Waffen, bekommen sie ihre Ausrüstung von den Wachposten, darunter eine Kappe aus Stierhaut für Diomedes und eine berühmte mykenische Kappe mit den Zähnen und Hauern eines Ebers für Odysseus. Mit dem Löwenfell, das Diomedes sich über die Schultern geworfen hat, und Odysseus’ rundum mit weißen Zähnen besetzter schwarzer Lederkappe sind die beiden Recken ein Furcht einflößender Anblick.
    Soll ich zu dieser Besprechung qten und sie beobachten?
    Dazu gibt es keinen Grund. Diomedes und Odysseus sind vielleicht schon zu ihrem Kommandounternehmen aufgebrochen. Womöglich hat Homer auch geflunkert oder sich geirrt, was diese Mission betrifft, genauso wie bei Phönix’ Rede. Außerdem hilft mir das momentan nicht bei meinem Problem. Ich bin kein Scholiker mehr, sondern nur ein Mensch, der einen Weg sucht, am Leben zu bleiben und diesen Krieg zu beenden – oder zumindest zu erreichen, dass die Kriegsparteien gemeinsam gegen die Götter vorgehen.
    Allerdings kommt mir ein anderes Ereignis dieser Nacht in den Sinn, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Als Diomedes und Odysseus sich hinauswagen, entdecken sie Dolon, den Lanzenkämpfer, dessen Körper ich mir vor zwei Tagen ausgeliehen habe, um Hektor zu seinem Treffen mit Helena und Paris zu folgen. Er ist hinter die achäischen Linien geschickt worden, um für Hektor zu spionieren. Dolon, der einen elastischen Bogen dabei hat und eine Marderfellkappe trägt, schleicht sich im Dunkeln vorsichtig übers Schlachtfeld, zwischen den kürzlich Gefallenen hindurch; er sucht einen Weg über den Graben und an den griechischen Wachposten an der vordersten Linie vorbei, aber der scharfäugige Odysseus sieht ihn im Dunkeln kommen, und er und Diomedes legen sich zu den Leichen, überraschen Dolon und entwaffnen ihn.
    Der Trojaner fleht um sein Leben. Odysseus wird ihm erklären – falls er es nicht schon getan hat –, ihm solle »nicht der Tod auf der Seele liegen«, und dann ruhig und gelassen ausführliche Informationen über die Aufstellung von Hektors Trojanern und ihren Verbündeten aus dem jungen Lanzenkämpfer herausholen.
    Dolon verrät alles – den Standort der Karer, Paioner, Leleger und Kaukonen, die Schlafstätten der edlen Pelasger, der unerschütterlichen, treuen Lykier und der mutigen Mysier, die Lager der berühmten phrygischen Reiter und der maionischen Wagenlenker –, er verrät alles und bettelt um sein Leben. Er schlägt sogar vor, dass sie ihn fesseln und gefangen halten, bis sie sehen, dass seine Informationen zutreffend sind.
    Odysseus wird lächeln, oder vielleicht hat er das schon getan, und dem vor Angst schlotternden Dolon auf die Schulter klopfen – aus der Zeit, als ich Dolons Gestalt angenommen hatte, erinnere ich mich noch an die muskulöse

Weitere Kostenlose Bücher