Ilium
Ich hebe den Stab, als wollte ich sie damit alle in Schach halten. »Wie lautet euer Plan?«, frage ich.
»Mein Gemahl hätte mir niemals geglaubt, wenn ich ihm erzählt hätte, die Göttin Aphrodite sei erschienen und habe Skamandrios und seine Amme als Geiseln mitgenommen«, sagt Andromache. »Hektor hat diesen Göttern sein Leben lang gedient. Er ist kein solcher Egomane wie dieser Männertöter Achilles. Hektor hätte gedacht, die Götter wollten ihn lediglich prüfen – sofern Aphrodite oder eine andere Gottheit unseren Sohn nicht vor Zeugen oder vor Hektors eigenen Augen getötet hätte. In diesem Fall hätte sein Zorn keine Grenzen gekannt. Warum hast du meinen Sohn nicht getötet?«
Mir fehlen die Worte, um darauf zu antworten. Darum antwortet Andromache für mich.
»Du bist ein sentimentaler Narr«, fährt sie mich an. »Du sagst, Skamandrios werde an den Felsen zerschmettert, wenn du die Pläne der Götter nicht änderst.«
»Ja.«
»Und dennoch hast du es abgelehnt, das Kind zu töten, dem der Tod bereits bestimmt ist, obwohl davon dein ganzer Plan abhing, diesen Krieg zu beenden und deinen eigenen Kampf mit den Göttern zu gewinnen. Du bist schwach, Hock-en-bär-iihh.«
»Ja«, sage ich.
Hekabe bedeutet mir, dass ich mich setzen soll, aber ich bleibe stehen, den Taserstab in der Hand. »Wie lautet euer Plan zur Beendigung dieses Krieges?«, wiederhole ich. Ich fürchte mich fast davor, diese Frage zu stellen. Würde Andromache ihren eigenen Sohn töten, um ihr Ziel zu erreichen? Ich schaue ihr in die Augen, und meine Angst wächst noch.
»Wir werden dir unseren Plan verraten«, sagt die alte Königin Hekabe, »aber vorher musst du uns beweisen, dass diese letzten beiden Gottesspielzeuge funktionieren.« Sie deutet auf das Morpharmband und das Medaillon.
Ohne die Frauen aus den Augen zu lassen, streife ich das Armband über. Der Anzeige zufolge sind nur noch drei Minuten Morphzeit übrig. Ich scanne Hekabe und löse dann die Morphfunktion aus.
Die echte Hekabe verschwindet, als ich den Raum ihrer Quantenwahrscheinlichkeitswelle einnehme. »Glaubt ihr mir nun?«, sage ich mit Hekabes Stimme. Ich hebe mein Handgelenk – Hekabes Handgelenk – und zeige ihnen das Morpharmband. Ich hole den Taserstab aus ihrem Gewand. Die vier übrigen Frauen, darunter Helena, schnappen nach Luft und treten so erschrocken zurück, als hätte ich die alte Dame mit einem Kurzschwert niedergestreckt. Erschrockener wahrscheinlich – den Tod durch das Schwert kennen sie nur allzu gut.
Ich gehe aus dem Morphmodus, und Hekabe erscheint abrupt wieder auf ihrer Seite des Raums. Sie zwinkert, obwohl ich weiß, dass sie nichts von der verstrichenen Zeit bemerkt hat. Die fünf Frauen schwatzen miteinander. Ich schaue auf die virtuelle Anzeige des Armbands. Noch zwei Minuten achtundzwanzig Sekunden Morphzeit.
Ich lege mir die Kette des QT-Medaillons um den Hals. Immerhin scheinen die Energievorräte dieses Geräts nicht begrenzt zu sein. »Soll ich von hier wegqten und dann zurückkommen, um euch zu zeigen, dass es ebenfalls funktioniert?«, frage ich.
Hekabe hat ihre Fassung wiedergewonnen. »Nein«, sagt sie. »All unsere Pläne – deine und unsere – hängen davon ab, dass du imstande bist, unbemerkt zum Olymp zu reisen und wieder zurückzukehren. Kannst du eine von uns jetzt dorthin bringen?«
Ich zögere erneut. »Das kann ich«, sage ich schließlich, »aber der Hades-Helm macht nur mich unsichtbar. Wenn ich eine von euch zum Olymp mitnähme, sähe man sie.«
»Dann musst du uns etwas mitbringen, was beweist, dass du auf dem Olymp warst«, sagt Hekabe.
Ich hebe die Hände, die Handflächen nach oben. »Was denn? Zeus’ Nachttopf?«
Alle fünf Frauen treten wieder zurück, als hätte ich eine Obszönität von mir gegeben. Ich erinnere mich, dass – aus sehr gutem Grund – Blasphemie hier kein solch beiläufiger Sport ist wie zu meiner Zeit, am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Diese Götter sind sehr real, und sie zu beleidigen hat Folgen. Ich werfe einen Blick auf die Wände und hoffe, dass uns das Blei wirklich abschirmt, sodass man uns vom Olymp aus nicht sehen kann – nicht wegen der Erwähnung des göttlichen Nachttopfs, sondern weil wir hier allem Anschein nach Göttermord planen.
»Als ich während des Parisurteils mit Aphrodite zusammen war«, sagt Helena leise, »bemerkte ich, dass die Göttin ihr glänzendes Haar mit einem wunderschönen Kamm kämmte. Er war aus Silber geschmiedet, und ein Gott
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