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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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finden, meine Freunde aus dem blauen Strahl zu holen. Dann geht’s wieder zurück in die Kälte.«
    Harman beugte sich vor. »Wie viele Jahre warst du … wach?«
    »Weniger als dreihundert«, sagte Savi. »Und schon das reicht, um einen Körper auszulaugen. Und einen Geist. Und eine Seele.«
    »Wer ist Dracula?«, fragte Daeman.
    Savi antwortete nicht. Sie steuerte den Crawler weiter nach Nordnordwesten.
     
    Sie hatte ihnen erklärt, ihr Ziel sei knapp fünfhundert Kilometer von jener Küste entfernt, wo sie aus dem Land namens Israel – ein Wort, dass Daeman noch nie gehört hatte – ins Becken hineingefahren waren. Aber der Ausdruck »fünfhundert Kilometer« sagte Harman wenig und Daeman gar nichts, weil die Fahrtstrecken, die man mit von Voynixen gezogenen Karriolen oder Droschken zurücklegte, nie länger als zwei, drei Kilometer waren. Wenn etwas weiter entfernt war, faxte Daeman dorthin. Das tat jeder.
    Trotzdem hatten sie gegen Mittag die Hälfte der Strecke geschafft, aber dann endete die rote Lehmstraße, das Gelände wurde holprig, und der Crawler musste viel langsamer fahren. Manchmal machte er kilometerweite Umwege, bevor er wieder auf seinen alten Kurs zurückkehrte. Savi hielt diesen Kurs mit Hilfe eines kleinen Instruments aus ihrem Rucksack und indem sie auf einer handgezeichneten, häufig gefalteten Karte die Entfernungen prüfte.
    »Weshalb benutzt du nicht die Handflächen-Suchfunktion?«, fragte Daeman.
    »Farnet und Allnet funktionieren hier im Becken«, antwortete Savi, »aber Proxnet nicht, und unser Ziel steht in keiner Netzdatenbank. Ich benutze eine Landkarte und ein uraltes Ding namens Kompass. Funktioniert aber.«
    »Wie funktioniert es?«, fragte Harman.
    »Zauberei«, sagte Savi.
    Die Antwort reichte Daeman.
    Sie fuhren weiterhin abwärts. Die Topografie des Beckens fiel vor ihnen ab, die ordentlich aufgereihten Feldfrüchte wichen nun Geröllfeldern, Wasserrinnen und gelegentlichen Bambushainen oder hohen Farnen. Von den Calibani war nichts mehr zu sehen. Es begann zu regnen, kurz nachdem sie das unebene Gelände erreicht hatten, und die Kreaturen waren vielleicht unmittelbar hinter den Vorhängen aus herabfallendem Wasser.
    Der Crawler passierte seltsame Artefakte – die Rümpfe zahlreicher Schiffe aus Holz und Stahl, eine Stadt voller umgestürzter ionischer Säulen, uralte Kunststoffgegenstände, die im grauen Sediment glänzten, die gebleichten Knochen vieler Meeresgeschöpfe und etliche riesige, rostige Tanks, die Savi »U-Boote« nannte.
    Am Nachmittag ließ der Regen ein wenig nach, und die drei sahen im Nordwesten einen hohen Tafelberg auftauchen. Er war hoch und breit und eher sanft gewellt als zu einem Gipfel aufragend, eher hügelig als flach, mit grüner Oberfläche und steilen, gefurchten Klippen an den Seiten.
    »Ist das unser Ziel?«, fragte Daeman.
    »Nein«, sagte Savi. »Das ist Zypern. Dort habe ich meine Jungfräulichkeit verloren – nächsten Dienstag vor tausendvierhundertzweiundachtzig Jahren.«
    Daeman wechselte einen heimlichen Blick mit Harman. Beide Männer waren so klug, den Mund zu halten.
    Am späten Nachmittag wurde das Gelände flacher und sumpfiger, und zu beiden Seiten einer holprigen roten Lehmstraße reihten sich wieder bestellte Felder. Merkwürdig geformte Servitoren arbeiteten darin, aber keiner beachtete den vorbeirollenden Crawler. Die meisten Maschinen besaßen offenbar keine Augen. Einmal versperrte ihnen ein mindestens zweihundert Meter breiter Fluss den Weg. Savi schloss das Türsegment, unterbrach die angenehme Frischluftzufuhr und vergewisserte sich, dass das Kugelkraftfeld aktiviert war, dann rollte sie mit dem Crawler über das Ufer. Das Wasser war tief – zwölf Meter oder mehr in der Mitte des Flussbetts –, und selbst die Suchscheinwerfer des Crawlers hatten Mühe, den Schlick und das trübe Halbdunkel zu durchdringen. Die Strömung war stärker, als Daeman es bei einem so breiten, tiefen Fluss vermutet hätte, und der Crawler wurde so heftig herumgestoßen, dass Savi die Maschine mit der virtuellen Steuerung mühsam wieder auf den richtigen Kurs bringen musste. Daeman schätzte, dass eine Maschine mit kleineren Rädern, weniger flexiblen Streben und geringerer Motorleistung nach Westen fortgetragen worden wäre.
    Als sie am Nordufer herauskamen – hinter ihnen flog der Schlamm, den die Maschine aufwirbelte, zehn Meter weit, und Wasser troff wie ein Wasserfall von den Spinnenstreben –, sagte Harman: »Ich wusste nicht,

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