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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Gestalt mit der rissigen Hülle, und mir wird erst jetzt klar, dass das andere Objekt ebenfalls ein Roboter sein muss. Was immer diese Maschinen sind, sie gehören nicht zum Olymp, davon bin ich überzeugt.
    »Mein Name ist Hera«, sagt die Göttin, »und ich bin hier, um euch dumme, dumme Moravecs ein für alle Mal von eurem Elend zu erlösen. Solche wie euch habe ich noch nie gemocht.«
    Ich war stehen geblieben, bevor sie zu sprechen begonnen hatte. Dies ist immerhin Hera, Gattin und Schwester von Zeus, Königin der Götter und mächtigste aller Göttinnen, möglicherweise mit Ausnahme von Athene. Vielleicht liegt es an diesem »solche wie euch«. Ich bin Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts geboren, habe bis ins einundzwanzigste Jahrhundert hinein gelebt und solche Redensarten schon früher gehört – und zwar viel zu oft.
    Was auch immer letztlich der Grund ist, ich ziele mit meinem Stab und verpasse dem arroganten Miststück eine Taserladung.
    Ich war nicht sicher, ob 50.000 Volt bei einer Göttin wirken würden, aber so ist es. Hera zuckt krampfhaft, bricht zusammen, löst im Fallen das Ovoid in ihren Händen aus und sprengt die leuchtenden Deckenpaneele weg, die den Raum erhellen. Es wird stockfinster.
    Ich fahre die Taserelektrode wieder ein und mache eine weitere Ladung bereit, aber es ist pechschwarz in dem fensterlosen Raum, und ich sehe nichts. Ich mache einen Schritt nach vorn und stolpere beinahe über Heras Körper. Sie scheint bewusstlos zu sein, liegt aber immer noch zuckend am Boden. Plötzlich stechen zwei Lichtstrahlen durch den Raum. Ich setze die Kapuze des Hades-Helms ab und sehe mich in den beiden Strahlen.
    »Hör auf, mir in die Augen zu leuchten«, sage ich zu dem kleinen Roboter. Das Licht scheint aus seiner Brust zu kommen. Die Strahlen verlagern sich.
    »Bist du ein Mensch?«, fragt der Roboter. Es dauert eine Sekunde, bis mir bewusst wird, dass er Englisch gesprochen hat.
    »Ja.« Meine eigene Sprache hört sich aus meinem Mund seltsam an. »Und was seid ihr?«
    »Wir sind beide Moravecs«, sagt die kleine Gestalt und kommt näher. Die Lichtstrahlen schwenken zu Hera. Ihre Augenlider flattern. Ich bücke mich, hebe die graue Waffe auf und stecke sie in die Tasche meines Chitons.
    »Ich heiße Mahnmut«, sagt der Roboter. Sein dunkler Kopf reicht mir nicht einmal bis zur Brust. Ich sehe keine Augen in dem metallenen, aber nach Kunststoff aussehenden Gesicht. Wo die Augen sein könnten, sind dunkle Bänder, und ich habe das Gefühl, dass er mich anstarrt. »Mein Freund heißt Orphu von Io«, setzt er hinzu. Die Stimme des Roboters ist leise, nur andeutungsweise männlich und nicht im Geringsten metallisch oder roboterhaft. Er deutet auf die rissige Schale, die an die fünf Meter Platz einnimmt.
    »Ist … Orphu am Leben?«, frage ich.
    »Ja, aber er hat momentan keine Augen und keine Manipulatoren«, sagt der kleine Roboter. »Ich übermittle ihm unsere Worte per Funk, und er sagt, es ist ihm ein Vergnügen, deine Bekanntschaft zu machen. Er sagt, wenn er noch Augen hätte, wärst du der erste Mensch, den er je zu Gesicht bekommen hätte.«
    »Orphu von Io«, wiederhole ich. »Hat der Saturn nicht einen Mond namens Io?«
    »Der Jupiter, um genau zu sein«, sagt die Mahnmut-Maschine.
    »Freut mich, euch kennen zu lernen«, sage ich, »aber wir müssen jetzt sofort von hier verschwinden. Plaudern können wir später. Diese Kuh wacht allmählich wieder auf. In ein oder zwei Minuten wird man nach ihr suchen. Die Götter sind momentan ziemlich aufgeregt.«
    »Kuh«, wiederholt der Roboter. Er schaut auf Hera hinunter. »Wie komisch.« Er richtet seinen doppelten Scheinwerferstrahl auf die Tür. »Die Stalltür scheint sich hinter der Kuh geschlossen zu haben. Ist es dir möglich, die Tür zu entriegeln oder aus den Angeln zu sprengen?«
    »Nein«, sage ich. »Aber wir müssen nicht durch die Tür, um von hier zu verschwinden. Gib mir deine Hand … deine Pfote … was immer es ist.«
    Der Roboter zögert. »Du hast nicht zufällig vor, uns per Quantenteleportation von hier wegzubringen?«
    »Wisst ihr über QT Bescheid?«
    Die kleine Gestalt richtet die Strahlen wieder auf die reglose Krebsschale, die mich um ein gutes Stück überragt. »Kannst du uns beide mitnehmen?«
    Jetzt bin ich derjenige, der zögert. »Ich weiß es nicht. Vermutlich nicht. So viel Masse …« Hera bewegt sich stöhnend zu unseren Füßen – nun ja, zu meinen Füßen und den irgendwie fußähnlich aussehenden

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