Ilium
Penelope.
Aber nicht heute.
Echepolos ist der erste trojanische Hauptmann, der beim Angriff der Achäer stirbt.
Vielleicht liegt es daran, dass der Mann noch benommen und desorientiert ist, nachdem ich mir seinen Körper ausgeliehen habe, doch als seine Gruppe trojanischer Kämpfer auf eine griechische Gruppe unter Führung von Nestors Sohn Antilochos trifft, einem guten Freund von Achilles, hebt der arme Echepolos seine Lanze zu langsam, und Antilochos stößt als Erster zu. Die eherne Spitze trifft den buschigen Helm von Echepolos direkt am Bügel und dringt ihm in den Schädel, stößt ihm ein Auge aus und treibt dem Mann das Gehirn zwischen den Zähnen hervor. Echepolos stürzt, wie Homer so gern sagt, gleich einem Turm.
Nun setzt eine Dynamik ein, die ich schon allzu oft mitangesehen habe, die mich jedoch immer wieder fasziniert. Es stimmt zwar, dass die Griechen und Trojaner in erster Linie aus Gründen der Ehre kämpfen, aber gleich dahinter kommt die Beute. Diese Männer sind Berufskrieger; das Töten ist ihr Handwerk, die Beute ihr Lohn. Und einen großen Teil der Ehre wie auch der Beute macht die kunstvolle, schön gearbeitete Rüstung – Schild, Brustharnisch, Beinschienen, Gurt – ihrer gefallenen Feinde aus. Die Eroberung der Rüstung eines Feindes ist hier eine ebensolche Heldentat wie der ›Coup‹, den sich ein Sioux-Krieger holt, wenn er einen Gegner berührt, und obendrein viel lukrativer. Der Körperschutz eines Hauptmanns besteht zuallermindest aus wertvoller Bronze; bei den wichtigeren Offizieren ist er oftmals aus Gold gehämmert und mit Juwelen geschmückt.
Also beginnt nun der Kampf um die Rüstung des toten Hauptmanns Echepolos.
Ein achäischer Truppenführer namens Elephenor eilt herbei, packt Echepolos an den Knöcheln und schleift den blutbefleckten Leichnam durch das Gewühl aus Lanzen, Schwertern und aneinander krachenden Schilden. Elephenor ist mir im Lager der Achäer über die Jahre hinweg ein paar Mal unter die Augen gekommen, ich habe ihn in kleineren Scharmützeln kämpfen sehen und muss sagen, sein Name passt zu ihm: Er ist riesengroß, mit enorm breiten Schultern, kraftvollen Armen und schweren Schenkeln – nicht das schärfste Messer in Agamemnons Kämpferschublade, aber ein großer, starker, tapferer und nützlicher Raufbold. Dieser Elephenor also, Sohn des Chalkodon, im vergangenen Juni 38 Jahre alt geworden, Befehlshaber der Abanter und Fürst von Euböa, schleift den Leichnam des Echepolos hinter die schützenden Reihen vorwärts stürmender achäischer Angreifer und fängt an, ihn zu entkleiden.
Dann schlüpft Agenor – ein trojanischer Kämpfer, Sohn des Antenor, Vater von Echeklos (die ich beide auf den Straßen von Ilium gesehen habe) – zwischen den kämpfenden Achäern durch und erhascht, als Elephenor sich im Schutz seines Schildes gerade tief hinunterbeugt, um Echepolos’ Leichnam ganz auszuziehen, einen Blick auf die bloßen Rippen des großen Kerls. Agenor macht einen Satz nach vorn, rammt Elephenor seine Lanze in die Seite, sodass dessen Rippen splittern, und zermalmt das Herz des großen Mannes zu einer formlosen Masse. Elephenor spuckt Blut und bricht zusammen. Während noch mehr trojanische Kämpfer vorwärts drängen und den Angriff der Achäer zurückschlagen, zieht Agenor seine Lanze heraus und macht sich nun seinerseits daran, Elephenor den Gurt, die Beinschienen und den Brustharnisch abzunehmen. Andere Trojaner schleifen den fast nackten Körper von Echepolos hinter die trojanischen Linien zurück.
Das Kampfgetümmel beginnt sich um diese Gefallenen zu konzentrieren. Der Achäer namens Ajax – der große Ajax, der so genannte Telamonier aus Salamis, nicht zu verwechseln mit dem kleinen Ajax, der die Lokrer führt – bahnt sich mit wuchtigen Hieben seinen Weg, steckt sein Schwert in die Scheide und fällt mit seiner Lanze einen sehr jungen Trojaner namens Simoeisios, der nach vorn gekommen ist, um Agenors Rückzug zu decken.
Noch vor einer Woche habe ich in Gestalt des Trojaners Sthenelos in der befestigten Sicherheit von Iliums stillen Gärten Wein mit Simoeisios getrunken, und wir haben uns zotige Geschichten erzählt. Der sechzehnjährige Junge, der nicht verheiratet und noch nie mit einer Frau im Bett gewesen war, hatte mir erzählt, dass sein Vater, Anthemion, ihn nach dem Fluss Simoeis genannt hatte, der anderthalb Kilometer von den Stadtmauern entfernt gleich neben ihrem bescheidenen Heim fließt. Simoeisios war noch keine sechs
Weitere Kostenlose Bücher